Der Sprung ins kalte Wasser

Regelmässiges Schwimmen im eiskalten Wasser kurbelt die Durchblutung und den Kreislauf an und soll gesund sein. Ein Selbstversuch klärt die Details.

Angela Bernetta

Der durchschnittliche Hobbysporttreibende verzichtet während der kalten Jahreszeit eher auf kräftezehrende Outdoor-Aktivitäten und hängt entspannt auf dem heimischen Sofa ab. Lediglich die ganz Harten rennen bei Eiseskälte um den Block oder steigen gar ins frostige Nass der freien Gewässer. Oder etwa doch nicht? Ob Nieselregen oder Schneetreiben: Immer mehr Menschen überwinden sich und ziehen bei winterlichen Temperaturen in eiskalten Seen und Flüssen ihre Runden. Doch warum eigentlich?

Unbedingt gesund sein

Spätestens seit der junge, an Tuberkulose erkrankte Sebastian Kneipp (1821– 1897) regelmässig ein kurzes Tauchbad in der winterkalten Donau nahm, ist Schwimmen im kalten Wasser mehrheitsfähig geworden. «Müde ging ich hinaus, neu aufgefrischt und gestärkt ging ich heim», schrieb der damalige Theologiestudent. Und sein Gesundheitszustand verbesserte sich nachhaltig. Bald behandelte Kneipp selbst Kranke mit kaltem Wasser. Heutzutage tun es ihm viele gleich und setzen auf die wohltuende Wirkung des kalten Wassers. Altbewährten Kneipp-Anwendungen wie das Wassertreten sind beliebt.

«Das kälteste Wasser ist das Beste», wusste bereits Sebastian Kneipp. Damit dieses seine Wirkung entfalten kann, sollte die Temperatur deutlich unter jener der Haut liegen. Am besten unter 18 Grad. Doch wie wirksam sind Kälteanwendungen eigentlich? «In der Literatur finden sich Hinweise, dass sich systematische Kälteanwendungen möglicherweise positiv auf das Herz-Kreislauf-System auswirken und einen blutdrucksenkenden Effekt haben können», sagt Brigitte Stigler, Fachärztin für orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparats im Medical Center Medbase in Winterthur WIN4. «Zudem können Kälteanwendungen antidepressiv wirken, das Immunsystem stärken und dadurch Infekten vorbeugen.» Nicht erst seit gestern werden Kälteanwendungen auch als Hausmittel geschätzt. Quarkwickel bei Verstauchungen, ein kalter Waschlappen bei Kopfweh oder kühle Wadenwickel bei Fieber sind altbewährte Methoden.

Gleichwohl bergen Kälteanwendungen wie Baden im eiskalten Wasser Gefahren und können Unterkühlung, Muskelkrämpfe und/oder Herz-Kreislauf-Probleme nach sich ziehen. Eis- und Winterschwimmende leben also nicht unbedingt gesünder, sollten aber unbedingt gesund sein, bevor sie ins eiskalte Wasser steigen, betonen Experten wie Walter Kistler, Sportmediziner im Spital Davos und Verbandsarzt der «Swiss Cold Training Association». Er sagt: «Ein Check-up beim Hausarzt ist daher ratsam.»

Starker Kältereiz

«Man unterscheidet zwischen Eisbaden bei weniger als 5 Grad und Winterschwimmen bei über 5 Grad», präzisiert Kistler. «Das Eisbaden sollte nicht als Wettbewerb betrachtet werden. Eine langsame Eingewöhnung ist der Schlüssel zum Erfolg.» Er empfiehlt, den Körper mit Wechselduschen oder einem regelmässigen Bad durch die Saison an die sinkenden Temperaturen zu gewöhnen. Dass man sich dem kalten Wasser besser mit Bedacht nähert, zeigt der Selbstversuch. Auch Kistler rät, es langsam anzugehen und vorab auf üppige Mahlzeiten zu verzichten. Es gehört eine gesunde Portion Überwindung dazu bei extremen Temperaturen ins eisige Wasser zu steigen. «Zunächst sinkt die Hauttemperatur, da sich die Blutgefässe zusammenziehen. Der Stoffwechsel wird gedrosselt», erklärt Brigitte Stigler unsere Körperreaktionen. «Dadurch werden die inneren Organe besser durchblutet. Zusätzlich schüttet der Körper Adrenalin aus, wodurch Puls und Blutdruck ansteigen.» Auch Botenstoffe wie Endorphine dürften den Körper fluten. Sie ergänzt: «Als Reaktion auf die niedrigen Temperaturen weiten sich die Gefässe bald wieder. Die Durchblutung wird gefördert, der Kreislauf stabilisiert sich.» Auch die Muskelspannung und -kontraktion verändern sich.

Eine Begleitperson und/oder Schwimmhilfen leisten zusätzliche Dienste beim Eis- oder Winterschwimmen, sagen Fachleute wie Walter Kistler. Auf keinen Fall sollte man übermütig ins eiskalte Wasser springen. Wer sich nicht wohlfühlt oder einen Krampf bekommt, muss das Wasser sofort verlassen und die Grenzen des Körpers respektieren.

Regelmässiger ist besser Einige Winter- oder Eisschwimmer*innen schützen ihre Extremitäten mit Füsslingen und Handschuhen aus Neopren und/oder tragen eine Mütze, damit der Körper keine Wärme über den Kopf verliert. «Um die Gesundheit nicht zu riskieren, sollte man nicht lange im eiskalten Wasser bleiben», sagt Kistler. Maximal fünf Minuten oder so viele Minuten, wie das Wasser an Grad Celsius misst, besagt eine Faustregel. Der Sportmediziner ergänzt: «Ein zwei- bis dreiminütiges Bad im maximal zehn Grad kalten Wasser gibt dem Körper den nötigen Kältereiz.» Erstaunlich ist, dass dieser im frostigen Nass kaum friert. Das grosse Zittern kommt erst hinterher am Trockenen. Entspannen, leichte Muskelübungen vor dem Ankleiden, damit der Körper weiter Wärme generiert und tief durchamten, raten die Routiniers. Noch Stunden nach dem Bad sorgen die vom Körper ausgeschütteten Botenstoffe für ein gutes Gefühl. Der Kopf ist klar. Man fühlt sich stark und lebendig. Doch wie oft macht Eis- oder Winterschwimmen Sinn, um den optimalen Effekt zu erzielen? «Hierzu gibt es keine abschliessende Antwort», sagt Kistler. «Der eigene Körper sollte da der beste Ratgeber sein. Und: mehr ist nicht besser, sondern regelmässiger ist besser.»

Tipps für das Bad im Winter

Wer regelmässig ins (eis-)kalte Wasser steigt, tut gut daran, folgende Tipps zu beherzigen:

  • Den Körper mit Wechselduschen und/oder Saunagängen vorbereiten.
  • Im Sommer mit dem Baden beginnen und durch die Jahreszeiten fortsetzen.
  • Langsam ins kalte Wasser steigen. Ruhig atmen.
  • Bei Unwohlsein oder Krämpfen sofort das Wasser verlassen.
  • Nie tauchen.
  • Bei geringer Wassertiefe schwimmen.
  • Zu zweit oder in der Gruppe baden.
  • Langsam aus dem Wasser steigen, gut abtrocken, leichte Gymnastikübungen machen, warme Kleider anziehen.
  • Nicht sofort heiss duschen. Mit Bewegung aufwärmen.
  • Bei gesundheitlichen Beschwerden ist vom Winter- oder Eisbaden abzuraten.
  • Im Zweifel den Arzt/die Ärztin konsultieren.

  

«Kälte kann Schmerzen entgegenwirken»

Sportler*innen regenerieren in der Kältekammer, Kältepackungen lindern Schmerzen von Rheumapatient*innen und Winterschwimmer* innen schwärmen vom allgemeinen Wohlbefinden, dass sich nach dem Bad im eiskalten Wasser einstellt. Franziska Schulte, Leiterin Therapie in der Rehaklinik Eden in Oberried am Brienzersee, erklärt Kälte und ihre Wirkung.

Interview: Angela Bernetta

«natürlich»: Was bringen Kälteanwendungen?

Franziska Schulte: Kälteanwendungen, Kälte- oder Kryotherapie genannt, sind gängige Behandlungsmethoden in der Physiotherapie. Dabei wird der Körper gezielt niedrigen Temperaturen ausgesetzt, um positive Effekte zu erzielen. Die Kältetherapie kann lokal mit Eispackungen, Kompressen, Coolpacks oder Kältesprays aber auch am ganzen Körper in der Kältekammer oder durch Eintauchen ins kalte Wasser erfolgen. Die Dauer und Intensität der Behandlung werden individuell ausgerichtet.

Wie wirkt die Kältetherapie auf unseren Organismus?

Verschiedene Studien belegen, dass eine Kältetherapie das Immunsystem stimulieren kann. Auch reduziert sie die Durchblutung und verringert so die Entzündungsreaktion im Gewebe. Das kann bei Verletzungen oder Arthritis helfen. Kälte kann Schmerzen entgegenwirken, indem sie die Nervenaktivität dämpft. Viele Sportler* innen nutzen sie, um sich nach einem intensiven Training schneller zu erholen.

Wie funktioniert eine Kältetherapie?

Unsere Reha-Kurklinik arbeitet mit einer Kältekammer. Wir halten dort folgenden Ablauf ein: Die Patientin betritt unsere Kältekammer, welche auf bis zu -110° heruntergekühlt wird. Dabei trägt sie Badebekleidung, festes Schuhwerk, Handschuhe, Mütze und einen Mundschutz. Die ersten 30 Sekunden hält man sich in der Vorkammer bei -60° auf, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Danach wechselt der Patient in die Hauptkammer mit einer Temperatur von -110°. Dort bewegt er sich kontinuierlich zu Musik und bleibt maximal zweieinhalb Minuten unter Aufsicht drin.

Wer profitiert von einer Kältetherapie?

Gute Erfolge erzielen wir vor allem bei Patient*innen mit Rheuma oder Fibromyalgie aber auch bei jenen mit Schlafstörungen, Depressionen, Neurodermitis sowie chronischen Schmerzen. Auch Menschen mit Arthritis, Gicht, Sehnenentzündungen, Morbus Bechterew, akuten Sportverletzungen oder psychischer Überlastung profitieren von dieser Behandlungsmethode.

Wer sollte von einer Kältetherapie absehen?

Menschen mit Kälteunverträglichkeit, peripheren, arteriellen Durchblutungsstörungen, schweren Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Angina Pectoris, schweren Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, einem Schrittmacher/Pacemaker, frischem Schlaganfall, Streifung oder Gangrän sollten von einer Kältetherapie absehen. Patient*innen mit Raynaud-Syndrom, Schwangere, Kinder und ältere Menschen wird geraten vor der Anwendung einen Arzt*eine Ärztin zu konsultieren.

Inwieweit ist der Erfolg der Kältetherapie wissenschaftlich belegt?

Leider gibt es zum jetzigen Zeitpunkt kaum repräsentative Studien. Einige wurden bereits durchgeführt, welche potenzielle Vorteile der Kältetherapie für bestimmte Anwendungen wie Entzündungshemmung, Schmerzlinderung, Muskelregeneration und verbesserte sportliche Leistung untersucht haben und auch belegen konnten. Es sind noch weitere Studien erforderlich, um den Erfolg und die Langzeitwirkungen der Kältekammer besser zu verstehen und zu bewerten.

 

 

 

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