Der Sorgenmaschine den Stecker ziehen

Tausende von Gedanken rasen täglich durch unser Hirn. Es herrscht ewiges Geplapper. Doch es gibt einen Weg aus der Grübelfalle. Wer sich nach innen wendet, schafft Ruhe im Kopf.

Lioba Schneemann

Der Mensch möchte in Frieden leben, mit Freude, Liebe und dem Gefühl der Verbundenheit. Trotzdem neigen wir dazu, uns mehr mit leidvollen als mit freudigen Dingen zu befassen. In den Medien überwiegen die negativen Nachrichten, wir berichten eher vom Unwetter als von den schönen Seiten der Ferien, die jedoch 98 Prozent der Zeit ausmachten oder jammern über den Vierbeiner des Nachbarn. Einfach zufrieden zu sein, scheint uns schwer zu fallen.

Auf der Suche nach der Ursache müssen wir nicht weit gehen: Sie sitzt just hinter unseren Augäpfeln. Es ist unser Gehirn! Zwar zweifelsohne ein Wunderwerk der Natur, von dem behauptet wird, es sei das komplexeste Organ auf dieser Welt. Dummerweise liebt es jedoch schlechte Nachrichten, suhlt sich im Sich-Sorgen- bereiten, in Miesepetrigkeit und dem Nachweinen von verpassten Chancen. Der US-amerikanische Neurowissenschaftler Rick Hanson erklärt das treffend: «Unser Gehirn verhält sich bei negativen Erfahrungen wie Klettband, bei positiven wie Teflon.» Dass die Ursache bei uns liegt, ist auf der anderen Seite gar kein Anlass, zu verzweifeln. Denn so können wir erkennen, dass wir es selbst in der Hand haben, den Lärm im Kopf zu verringern. Der Zuwachs der Erkenntnisse über Geist und Gehirn habe die Folge, dass wir heute viel mehr Möglichkeiten haben, im täglichen Leben glücklicher zu werden, schreibt darum Hanson in seinem Buch «Das Gehirn eines Buddha».

Negativer betrachtet könnte das natürlich heissen: Du bist selbst schuld an deinem Leid. Aber, da ist etwas dran. Denn die Schulung des Geistes ist ein gangbarer Weg, den alle Menschen, die sich für ihre Weiterentwicklung und Heilung ernsthaft interessieren, einschlagen können, und sollten. Spirituelles und persönliches Wachstum bedeutet, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, und dann das zu fördern und zu entwickeln, was gesund für uns ist.

Es ist nur ein Gedanke

Es lohnt sich, unseren Gedanken auf die Schliche zu kommen, denn was wir denken, entscheidet darüber, wie wir uns fühlen, wie entspannt oder angespannt wir sind und wie wir uns verhalten. Ausserdem ist es eine ungeheure Energieverschwendung, sich mit seinen Gedanken, die viel Unsinn veranstalten, im Kopf zu sehr zu befassen, sich darin zu verlieren, was bedeutet, sich mit ihnen zu identifizieren. Denn das tun wir. Darum der Rat spiritueller Lehrer*innen: Glaube nicht, was du denkst. Prüfe, ob es die Realität ist oder nur ein «Gedanke» darüber.

Analysiert man seine Denkmuster, kommt man zu diesem Schluss. Es ist meistens Unsinn und schädlich für unser Befinden, was da so alles im Kopf aufblitzt. Beunruhigt stellt man fest, dass man nicht Herr im eigenen Hause ist. Deutlich wird das, wenn wir versuchen, eine Minute lang nicht zu denken. Innert Sekunden sucht das Gehirn fieberhaft nach Aktivität. Eckhart Tolle, der bekannte spirituelle Lehrer, bringt das plastisch und humorvoll auf den Punkt: «Genauer gesagt ist es nicht so, dass du deinen Verstand falsch gebrauchst – du gebrauchst ihn normalerweise überhaupt nicht. Er gebraucht dich. Das ist die Krankheit.» Und nur, weil es alle machten und es normal sei, sei es nicht weniger verrückt. Wer versucht, einfach nicht zu denken oder Gedanken zu unterdrücken, wird kaum Erfolg haben. Man erfährt dann den «Rosa-Elefanten- Effekt»: Wer versucht, nicht an einen rosa Elefanten zu denken, wird dies umso häufiger tun. Unsere Vorstellung wird eher noch mehr gefüttert, wenn wir versuchen, sie zu unterdrücken. Darum funktioniert auch das positive Denken nicht.

Unser unruhiger Geist scheint in unserer Reiz überfluteten, und in der «Tun-Modus-Gesellschaft» auszublühen. Die Beschleunigung ist im Grunde wohl eher eines von vielen Zeichen für einen viel zu aktiven Geist. Pharmafirmen machen sich dies zunutze, indem sie mitunter Pillen gegen «kreisende Gedanken» verkaufen.

Wähle weise

Nicht nur, wer mit Meditation, Achtsamkeit oder Yoga anfängt oder einfach mal versucht, eine Minute auf seinen Atem zu achten, wird erschüttert sein über den Lärm im Kopf. Und dieses Szenario kennen sicher alle: Man liegt morgens um vier Uhr im Bett, ist sicher, kuschelt sich ein, aber man grübelt! Da ist keineswegs Ruhe im Hirn, weil man sich hineinsteigert in sein Drama – vielleicht ein Vorstellungsgespräch, ein schwieriger Vortrag oder eine traumatische Erinnerung – all dies können wir wunderbar. Nur Ruhe finden, das geht kaum.

Doch es gibt recht einfache Techniken und Übungen, die einem helfen, Ruhe im Kopf zu trainieren. Zunächst kann es sehr hilfreich – und auch irgendwie lustig sein – Humor hilft – seinen Gedanken auf die Schliche zu kommen. Folgende Übung deckt unseren eigenen Terror auf: Gehen Sie mit einem*r guten Freund*in spazieren, und teilen Sie ihm*ihr ihre typischen Botschaften mit, die sie quälen. Von «Sei schneller.», «Das kriegst du ja eh nicht hin.», «Du bist nicht gut genug.» bis «Mache es allen recht.» findet sich sicher etwas. Bald werden Sie genug haben von dieser Nervensäge! Und bemerken vielleicht das erste Mal so richtig, wie unnötig, ungesund und lästig solche Gedanken sind, die sie ja selbst im Geiste produzieren. «Letztendlich ist Glück eine Frage des Wählens zwischen dem Unbehagen, sich seiner geistigen Nöte bewusst zu werden, und dem Unbehagen, von ihnen beherrscht zu werden», sagt treffend der buddhistische Lehrer Yongey Mingyur Rinpoche. Unser Geist liebt es, zu kommentieren, zu bewerten und zu vergleichen. Da wir Geschichten lieben, macht auch unser Geist aus allem eine «Geschichte», und leider glauben wir sie sofort. So schaffen wir unsere eigenen Wahrheiten und somit auch zugleich unser eigenes, individuelles Leid. Ein Teufelskreis entsteht, denn was durch unseren Geist strömt, formt unser Gehirn. Unser Gehirn ist plastisch, wir verändern es dauernd durch unser Tun und durch unser Denken. Und indem wir es weise nutzen, können wir es umformen und langsam, aber sicher aus der negativen Spirale ausbrechen. Man kann mit gezielten Meditationen neue neuronale Netzwerke aufbauen. Etwa, indem man positive Erfahrungen stärkt und bewusst in sich aufnimmt. Hirnforschende können sogar diese Veränderungen der Hirnstruktur mit bildgebenden Verfahren feststellen.

Wahrnehmen und Annehmen

Der Weg aus dem Dilemma stammt aus der buddhistischen Tradition und weitet sich im Westen seit einigen Jahrzehnten rasant aus: Meditation und Achtsamkeit heissen die Zauberwörter. Und manchmal denkt man wirklich an einen Zaubertrick. Wenn es etwa heisst, man solle einfach da sitzen, atmen, seine Gedanken nur wahrnehmen, sie dann annehmen und einfach ziehen lassen «wie Wolken am Himmel». Man solle seine Gedanken als Gedanken wahrnehmen und nicht als die Wahrheit. So gelinge es leichter, sich von ihnen zu distanzieren. Das hört sich so leicht an! Achtsamkeit ist zwar relativ einfach, aber nicht leicht umzusetzen. Es ist eine Herausforderung, wenn wir versuchen, unsere Gedanken zu beobachten. Aber nur so verstrickt man sich nicht in ihnen. Man kultiviert den inneren Beobachter, das heisst, dass wir die Botschaften unseres Geistes erkennen und lernen, uns langsam von ihnen zu distanzieren. Vielleicht hilft die Vorstellung, dass man wie in einem Theater im Zuschauerraum sitzt und man seinem Geist zusieht, was er auf der Bühne macht.

Mit Achtsamkeit wird der Geist stiller. Ruhe kehrt ein. Die Menschen, die mit Meditation beginnen, berichten oft schon nach wenigen Stunden der Praxis, dass Empfindungen von Ruhe und Frieden mehr Raum finden. «Endlich komme ich zu Hause an. Die Gedanken rasen nicht mehr so. Es ist schön, einfach bei mir zu sein. Ich bekomme viel mehr von meinem Leben mit», lauten ihre Aussagen.

Wenn der Lärm im Kopf nachlässt, wenn wir lernen, innezuhalten, werden Dinge kraftvoller und klarer wahrgenommen. Entschleunigung geschieht wie von selbst. Damit einher geht eine intensivere und differenziertere Wahrnehmung. Es öffnet sich in uns etwas. So erlebt man den Waldspaziergang oder das regelmässige Joggen plötzlich anders, weil man nicht mehr gedanklich ganz woanders ist.

Gefühl ist Wahrheit

Gedanken beobachten ist ein guter Einstieg. Dann geht es einfacher weiter, denn wenn der Geist ruhiger wird, kommt man besser in den Körper hinein. Und da müssen wir hin, wollen wir etwas von uns erfahren. «Der Gedanke ist Lüge, das Gefühl die Wahrheit», betont Eckhart Tolle. Es ist nicht der denkende Verstand, der Wunder vollbringt, heilt, Lösungen findet oder Kreativität entwickelt oder die wichtigen Entscheidungen fällt.

Leicht ist es das Meditieren nicht, aber die Mühe lohnt sich. Der Gewinn ist Wahrheit, Freude am Da-Sein und schliesslich Freiheit. Wir haben, wenn man es genau betrachtet, auch keine andere Wahl. Denn mehr Schnelligkeit und Ruhelosigkeit kann unser Gehirn gar nicht mehr aufnehmen, unser Körper und Seele nicht mehr vertragen.

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