Der Klostergarten – ein früher Hort der Naturheilkunde

Kategorie: Gesundheit


Er ist still und versteckt sich meist hinter dicken Mauern. Der sagenumwobene Klostergarten birgt die Geheimnisse einer Pflanzenwelt, deren Heilkräuter schon vor der Christianisierung Tradition hatten. Wild wuchs im Klostergarten kaum ein Kraut: Schon im Frühmittelalter hatte im «hortulus» alles seine Ordnung.




Friedvolle Nonnen, die in ihrem idyllischen Garten Unkraut jäten, rote Äpfel und Feigen, die von den Bäumen hängen und bunte Schmetterlinge, die von einer Blume zur anderen tanzen. Dazu ein warmer Wind, der die Ziersträucher streichelt und das Summen der Bienen, die vom süssen Nektar der Rosen und des Salbeis angelockt werden: Diese Schilderung eines Klostergartens ist beinah paradiesisch. Und das war kein Zufall.


Tatsächlich wollten Nonnen und Mönche mit ihren Klostergärten den biblischen Garten Eden aus dem Buch Genesis auf die Erde holen. Eine noch wichtigere Rolle spielte die wirtschaftliche Unabhängigkeit. So heisst es im Klosterregularium des Benediktiner-Ordens aus dem frühen Mittelalter (540), das Kloster solle so angelegt werden, dass sich alles Nötige wie Wasser, Mühle und Garten innerhalb des Klosters befinde. Diese Unabhängigkeit erreichten die Mönche gemäss Ulrich Willdering, Professor für Botanik, mit Hilfe von Laienbrüdern und Feldarbeitern nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb der Klostermauern, womit sie ihr Wissen über Kulturpflanzen, Anbaumethoden und Gartenanlagen an die Allgemeinheit weitergaben.



Strabo und sein «hortulus»

Mit der frühmittelalterlichen Realität schwindet das Bild des wildromantischen Klostergartens: Wie der St. Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert zeigt, unterlag dieser gewissen Vorschriften. Nach der Benediktsregel, oder «Regula Benedicti», sollte ein Musterkloster über einen Kreuz-, einen Heilkräuter- und Gemüsegarten sowie über einen Obstbaumgarten (gleichzeitig Friedhof) verfügen. Abgesehen vom Kreuzgarten sollten alle nach bestimmten Anbaumethoden bepflanzt werden.


Das Pflanzenbild prägte Walahfrid Strabo, Abt des Klosters Reichenau, nicht nur in St. Gallen. Das um 840 in Versen verfasste Lehrgedicht «De cultura hortorum», kurz «hortulus» (Gärtlein), oder «Über die Gartenpflege», beschreibt 24 Heilkräuter, Küchen- und Zierpflanzen (siehe Box) und gilt als älteste Abhandlung über den Gartenbau. Die von Strabo beschriebene Anordnung der Pflanzen dient noch heute als Vorlage für mittelalterliche Heilkräutergärten.


«Der Mensch, der Gutes wirkt, gleicht einem Obstgarten, der von den Früchten guter Werke voll ist.» Hildegard von Bingen (1098–1179)


Ganzheitlicher Ansatz in der Klostermedizin

Der zweite Namen, mit dem wir das Thema Klostergarten verbinden, ist «Hildegard von Bingen». Die Benediktinerin und Äbtissin (1098–1179), die oft als erste deutsche Ärztin, Naturwissenschaftlerin und Apothekerin beschrieben wird, hinterliess mit ihren Schriften ein verlässliches Bild hochmittelalterlicher Klostergärten. Weil sie den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele sah, legte sie den Grundstein für die ganzheitliche Medizin. Eine gesunde Ernährung nahm dabei eine wichtige Rolle ein.

In ihrem Werk «Physica» hinterliess sie fast 2000 Rezepte, die der österreichische Arzt Gottfreid Hertzka (1913–1997) aufarbeitete. Er ist Begründer der sogenannten Hildegard-Medizin und war überzeugt, dass ihre Ernährungslehre zusammen mit der «rechten Lebensweise» das einzig richtige ist, um Krankheiten zu verhindern und zu heilen. Tatsächlich decken Hildegards Empfehlungen fast alle Krankheiten ab, die wir unter dem Betriff Zivilisationskrankheiten zusammenfassen: Diabetes mellitus, Übergewicht, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Allergien lassen sich auf einen modernen Lebensstil sowie auf Ernährungsfehler zurückführen.

Göttliche Eingebungen

Das wichtigste Lebensmittel der «Hildegard-Medizin» ist der Dinkel. Sein positiver Einfluss auf die Gesundheit ist heute unumstritten; genauso wie ihrer empfohlenen Gemüse Fenchel, Karotten oder Sellerie und Gewürze wie Quendel, Galgant, Minze oder Zimt. Viele ihrer beschrieben Pflanzen werden noch heute in der Naturheilkunde und Homöopathie eingesetzt. Dazu gehören Gewürznelken, Hirschzungenfarn, Schafgarbe und Ingwer oder bitterstoffhaltige Heilpflanzen wie Andorn, Salbei, Mariendistel, Tausendgüldenkraut und Wermut. Bitterstoffen schrieb Hildegard wegen ihrer positiven Eigenschaften auf die Gesundheit der Leber und des Magen-Darms grosse Bedeutung zu.

Wie Hildegard zu ihren Lebzeiten betonte, schrieb sie nur nieder was sie in ihren Visionen sah und selbst die Dinge nicht kannte – ein intelligenter Schachzug einer kräterkundigen Frau im Mittelalter. Zweifellos hinterliess sie uns mit ihren medizinischen Werken «Physica» und «Causae et curae» einen grossen Schatz. Ihre Leistung lag jedoch auch darin, dass sie das damalige Wissen der Volksmedizin mit demjenigen aus der griechisch-lateinischen Tradition zusammenbrachte und dabei deutsche Pflanzennamen verwendete.


Kräuterhexen und Schaman*innen waren des Teufels

Die Volksmedizin war mit der Christianisierung in Verruf geraten. Damals gehörten heidnische Heilpriester*innen und Schaman*innen zu den grössten Rivalen der Missionar*innen. «Sie waren des Teufels, genau wie ihre Kräuter und Heilung», schreibt der bekannte Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl. Weil das Volk trotzdem zu den Kräuterhexen lief, «konnte die Kirche nicht anders, als die Kräuter wieder zuzulassen». Allerdings erhielten nur die Pflanzen der Bibel und diejenigen aus den Ländern, in denen die Apostel gewirkt hatten, einen Platz im Hortulus der Klöster. Viele Heilkräuter aus der Volksmedizin erhielten dabei einen biblischen Namen. So wurde das «Hartheu», die «Teufelsflucht» oder der «Jagdteufel» in «Johanniskraut» umgetauft. Gut, dass es heute keine göttlichen Eingebungen mehr braucht, um dem Scheiterhaufen zu entkommen – auch wenn eine gewisse Kluft zwischen den «Göttern in Weiss», der Pharmaindustrie und den Kräuterkundigen geblieben ist.


«Mit Beginn des Frühjahrs sollte man in die Natur hinausgehen und mit dem Sammeln von Kräutern beginnen.» Maria Treben (1909–1991)

Heilkräuter aus dem Garten Gottes

Die Auswirkungen dieser Kluft zu spüren bekam Maria Treben (1909-1991); eine gläubige Hausfrau, die sich besonders gut mit Kräutern auskannte und als Pionierin in der Kräuterheilkunde gilt: Nachdem der Dorfpfarrer sie dazu motivierte hatte, ihre Kräutererfahrungen für das örtliche Kirchenblatt aufzuschreiben, wurde daraus zuerst eine Broschüre und später – mit über acht Millionen verkauften Exemplaren – ein Beststeller. Die «Gottesapothekerin» war umstritten, und wurde aus den Kreisen der Ärzteschaft und der pharmazeutischen Industrie «regelmässig scharf, und nicht immer fair, angegriffen», wie sie in ihrem Vorwort «Heilkräuter aus dem Garten Gottes» schreibt. Von der Arnika über die Goldrute bis hin zum Zinnkraut – über 30 einheimische Heilpflanzen beschreibt Maria Treben in ihrem Nachschlagewerk, das nebst Pflanzenporträts hilfreiche Kräuterrezepte enthält. Damit können sich moderne Kräuterhexen an eine Ringelblumen-Salbe wagen (bei offenen Wunden), einen Bärlauch-Wein kochen (bei Atembeschwerden und Atemnot) oder ein Schwedenbitter (siehe Rezept) herstellen. Dieses bezeichnete sie als «wahres Lebenselixier» – genauso hatte es Hildegard von Bingen mit ihren Bittertropfen.


Übrigens haben die beiden Frauen noch mehr gemeinsam: Während Hildegard an einer chronischen Krankheit litt, wäre Treben ohne das Schöllkraut und das Schwedenbitter wohl an Typhus verstorben. Es muss dank ihrer Lebensweisen und dank der Kräuter gewesen sein, dass beide ein hohes Alter erreichten.



Buchtipps:

Kräuterkunde – Das Standardwerk, Wolf-Dieter Storl, Aurum


Heilkräuter aus dem Garten Gottes – Guter Rat aus meiner Kräuterbibel für Gesundheit und Wohlbefinden, Maria Treben, Ennsthaler Verlag, Steyr


Das Heilwissen der Hildegard von Bingen – Naturheilmittel, Ernährung & Edelsteine, Günther H. Heepen, Gräfe und Unzer Verlag GmbH


Maria Treben: «Kleiner Schwedenbitter»

Gegen Schmerzen und Erkrankungen jeglicher Art als Vorsorgemassnahme morgens und abends einen kleinen Teelöffel mit etwas Wasser verdünnt einnehmen.


Kräutermischung 10 g Aloe, ersatzweise Enzianwurzel oder Wermutpulver, 10 g Angelikawurzel, 5 g Eberwurzwurzel, 10 g Manna, 5 g Myrrhe, 10 g Natur-Kampfer, 10 g Rhabarberwurzel, 0,2 g Safran, 10 g Sennesblätter, 10 g Theriak Venezian, 10 g Zitwerwurzel.


Kräuter in eine Flasche füllen und mit 1,5 Liter 38- bis 40%igem Kornbranntwein übergiessen. Unter täglichem Schütteln mindestens 14 Tage in der Wärme stehen lassen. Mit fortschreitender Lagerung reift die Heilkraft des Kleinen Schwedenbitters an.


Quelle Heilkräuter aus dem Garten Gottes, Ennsthaler Verlag


Die Strabo-Pflanzen

Das sind die 24 von Walahfrid Strabo in seinem «hortulus» beschriebenen Pflanzen. Diese werden noch heute in der Heilkunde, in der Küche und als Zierpflanzen verwendet.


  • Salbei
  • Weinraute
  • Eberraute
  • Flaschenkürbis
  • Melone
  • Wermut
  • Andorn
  • Fenchel
  • Schwertlilie
  • Liebstöckel
  • Kerbel
  • Lilie
  • Schlafmohn
  • Muskatellersalbei
  • Frauenminze
  • Minze
  • Poleiminze
  • Sellerie
  • Heil-Ziest
  • Odermennig
  • Schafgarbe
  • Katzenminze
  • Rettich/Meerettich








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