Danke – fünf Buchstaben mit grosser Wirkung
Kategorie: Gesundheit
Seit jeher ist Dankbarkeit ein wichtiges Thema in Religion und Philosophie. Die Psychologie hingegen hatte bis vor kurzem wenig Interesse daran. Die jüngere Forschung zeigte aber rasch: Zufriedenheit und Wohlbefinden im Leben hängen eng mit Dankbarkeit zusammen. Doch das Gefühl hat auch seine Schattenseiten.
Mein Rücken schmerzt, ich schlafe schlecht. Die paar Stufen bis zu meiner Wohnung rauben mir den Atem. Ich verliere öfter die Geduld als sonst; manchmal bin ich ungerecht. All das fällt mir nicht schwer zuzugeben, zu beklagen in grosser Runde, beim Abendessen mit Freunden etwa. Doch eines behalte ich dabei oft für mich: trotz der Unbill bin ich unglaublich dankbar. Dankbar dafür, dass ich im Alter von bald 43 Jahren eine ganz normale Schwangerschaft mit ihren ganz normalen Beschwerden erlebe. Warum bloss geht mir das weniger leicht über die Lippen, als über die Beschwerden zu klagen oder zu erzählen, dass ich meine Kinder zu viel anraunze? Es scheint fast, als hafte dem Satz «Ich bin dankbar für …» etwas Altmodisches an. Ein Eingeständnis, das nicht passt zum Selbstverständnis unserer Zeit, in der jeder seines Glückes Schmid ist und alles nur eine Frage des Willens.
Robert Emmons gehörte vor bald zwanzig Jahren zu den ersten Psychologen, die das Gefühl der Dankbarkeit systematisch untersuchten. Obwohl seit Tausenden von Jahren immer wieder Thema in Religion und Philosophie, hatte sich die wissenschaftliche Forschung lange kaum dafür interessiert. Die Dankbarkeit gehöre zu den am meisten vernachlässigten aller Tugenden; dabei sei sie von unschätzbarem Wert als Kitt des sozialen Zusammenlebens, schreibt der amerikanische Psychologe in seinem Buch «The Psychology of Gratitude». Wir lebten, so Emmons, «in einer Gesellschaft, die sich nicht gerne in der Schuld fühlt». Was uns an Gutem zustösst im Leben, schreiben wir deshalb lieber uns selbst zu, als dass wir andere dafür verantwortlich machen. Dankbarkeit jedoch bedeutet auch zuzugeben, dass wir abhängig sind und verletzlich.
Dankbarkeit ist nicht nur die grösste aller Tugenden, sondern auch die Mutter von allen.
Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.), römischer Politiker und Philosoph
Loslassen vom Kreisen um sich selbst
«Es ist vor allem das Leistungsdenken, das den Menschen zu schaffen macht, die zu uns kommen», sagt Tobias Karcher, Leiter des Lassalle-Hauses in Edlibach (ZG), dem Bildungszentrum für Spiritualität der Jesuiten. «Wir haben heute die Vorstellung so stark verinnerlicht, dass wir das Leben aktiv steuern und im Griff haben, dass wir nur schwer Dinge geschehen lassen und annehmen können. Eine spirituelle Grundhaltung steht einem solchen Denken jedoch diametral entgegen», betont Karcher. Allen Wegen zur Spiritualität gemeinsam sei schliesslich die Achtsamkeit, und diese bedeute ein Loslassen vom Kreisen um sich selbst, ein sich Öffnen gegenüber der Welt. Was wiederum zum Bewusstsein führe, wie vieles uns einfach geschenkt ist: die Schöpfung, die Liebe, ja, das Leben überhaupt. Erst mit diesem Bewusstsein öffne sich der Raum, um tiefe Dankbarkeit zu empfinden, sagt Karcher. «Achtsamkeit und Dankbarkeit sind untrennbar miteinander verbunden.»
In der psychologischen Forschung verstand man unter Dankbarkeit zu Beginn in erster Linie das Gefühl, das sich einstellt, wenn einem jemand in irgendeiner Form die Hand reicht. Je grösseren Wert diese Hilfe für uns hat, je mehr sie den Wohltäter kostet und je altruistischer wir dessen Motivation einschätzen, stellten Psychologen bald fest, desto dankbarer fühlen wir uns auch. Erst später wurde auch derjenigen Dankbarkeit vermehrt Beachtung geschenkt, die mehr Grundhaltung ist, denn konkrete Reaktion auf erhaltene Hilfe.
Dankbar sein – und aufwärts geht‘s
So oder so: Die Studien der vergangenen Jahrzehnte lassen heute kaum mehr Zweifel daran, wie eng die Gefühle von Dankbarkeit mit psychischer Gesundheit und Zufriedenheit verbunden sind: Dankbare Menschen sind besser vor Stress und Depressionen geschützt; sie führen engere Sozialbeziehungen und können nicht nur auf mehr Unterstützung aus ihrem Umfeld zählen, sondern bitten in schwierigen Situationen auch leichter um Hilfe. Sogar zu besserem Schlaf soll die Dankbarkeit verhelfen, wie eine Studie des britischen Psychologen Alex Wood zeigt, einem der wichtigsten Forscher in diesem Bereich. Wood stellte gemeinsam mit Kollegen fest, dass das Ausmass positiver beziehungsweise negativer Gedanken vor dem Einschlafen und die Dauer und Qualität des Schlafs deutlich mit Gefühlen der Dankbarkeit zusammenhängen. Anders gesagt: Wer abends im Bett nicht über Problemen grübelt, sondern sich am Geschenk des Lebens freut, sich in einer kurzen Rückschau dankbar an die schönen Dinge des Tages erinnert, schläft in der Regel auch schneller ein und besser durch.
Für den englischen Philosophen Francis Bacon war zwar klar: «Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.» Laut moderner Forschung ist das aber nicht restlos geklärt. Demnach bleibt bei all den Ergebnissen die Frage offen, was zuerst da ist: die Dankbarkeit oder Glück und Gesundheit? Sind manche Menschen dankbarer als andere, weil ihnen mehr Erfreuliches im Alltag widerfährt? Oder gibt es Menschen, die von Natur aus häufiger Dankbarkeit empfinden und deshalb Umfeld und Umstände wohlwollender beurteilen? Sicher sind sich Psychologen nur, dass das Gefühl in der Regel eine Aufwärtsspirale in Gang setzt: Je dankbarer wir sind, desto eher nehmen wir Hilfsangebote anderer Menschen überhaupt erst wahr – was wiederum die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir künftig anderen ebenfalls öfters Unterstützung anbieten.
Wege zu mehr Dankbarkeit im Alltag
So eindeutig liess sich in der psychologischen Forschung schon nach kurzer Zeit ein Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und mentalem Wohlbefinden feststellen, dass man bald auch nach Wegen suchte, das Gefühl in Therapien mit praktischen Übungen zu stärken. Einige davon erlangten dabei besonders schnell Beliebtheit, auch im Alltag:
Die Liste
Zu den gängigsten Ansätzen gehört die Dankbarkeitsliste: Man notiert sich vor dem Schlafengehen beispielsweise drei Dinge, für die man an diesem Tag besonders dankbar ist. Die Methode ist in der klinischen Psychologie sehr beliebt, weil sie sich rasch und unkompliziert umsetzen lässt und doch ebenso wirksam Stress reduziert wie manch andere, deutlich aufwändigere Intervention. Selbst wer zu Beginn das Gefühl hat, nichts aus seinem Leben auf die Liste setzen zu können, scheint mit der Zeit mehr und mehr Dinge zu finden, für die er oder sie dankbar sein kann.
Die Kontemplation
Die Aufforderung zum Nachdenken über Dinge, die einem dankbar machen, ist zwar weniger systematisch angelegt als die Dankbarkeitsliste. Doch auch sie hat in klinischen Settings gute Wirkung gezeigt: So heben die wenigen Minuten, in denen man sich bewusst auf etwas Gutes besinnt, oftmals genügend die Stimmung, um sich auf eine anschliessende Therapiestunde einzulassen. Diese Kontemplation ist auch den Jesuiten alles andere als fremd. Tobias Karcher, Leiter des Lassalle-Hauses, sagt: «Das Gebet des Tagesrückblicks hilft, den Tag mit Gedanken der Dankbarkeit abzuschliessen.» Das ermögliche es dem Menschen loszulassen. Viel zu oft jedoch sähen wir am Ende des Tages bloss, was wir alles nicht geschafft hätten. Der Besuch
Die grösste kurzzeitige Wirkung konnten Psychologen bisher dem sogenannten Dankbarkeitsbesuch nachweisen. Sie verglichen dazu Menschen, die jemandem, dem sie besonders viel verdankten, einen Brief schrieben und diesen dann der Person vorbeibrachten und vorlasen, mit Menschen, die stattdessen für sich einen kurzen Text über ihre Kindheitserinnerungen verfassten. Erstere fühlten sich sowohl direkt nach der Dankbarkeitsübung als auch noch einen Monat später zufriedener und weniger depressiv als die Vergleichsgruppe.
Gutmütiger Meister, dankbarer Sklave?
Alles eitel Sonnenschein also? Forscher wie Alex Wood und Robert Emmons begannen in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu hinterfragen, ob das Gefühl von Dankbarkeit tatsächlich nur positive Seiten hat. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil ob all der vielversprechenden Forschungsresultate bald auch die Suche nach therapeutischen Ansätzen einsetzte: Dankbarkeit sollte mit praktischen Übungen gezielt gefördert werden, um psychisches Leiden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern (siehe «Wege zu mehr Dankbarkeit im Alltag»)
Zum Beispiel: Muss der Sklave dem Meister dankbar sein, wenn dieser ihn grossmütig und mitfühlend behandelt? Verdient der Meister Anerkennung dafür, dass er sich in einem ungerechten System so gerecht wie möglich verhält, wenn er dieses durch seine Position doch gleichzeitig aufrechterhält? Solche Fragen liessen sich aus ethischer Sicht schwer beantworten, schreiben Wood und Emmons gemeinsam mit Kollegen in der Studie «A Dark Side of Gratitude?» – und doch seien sie allgegenwärtig: Schulde man etwa dem Angestellten eines fragwürdigen Unternehmens Dank dafür, dass er einen vor dubiosen Geschäftspraktiken warne, wenn er doch weiterhin dort arbeite?
Es gelte genau hinzuschauen, wie, wann und wem Dankbarkeitsbekundungen nützen, sind Wood und Emmons überzeugt. So empfänden zum Beispiel auch Opfer häuslicher Gewalt Dankbarkeit ihrem Partner gegenüber – was die Wahrscheinlichkeit erhöhe, in einer solchen Beziehung zu bleiben und die verzerrte Sicht des Täters auf einem selbst zu projizieren.
In Gesellschaftsstrukturen, in denen Menschenrechte missachtet und Bevölkerungsgruppen systematisch unterdrückt werden, scheint es sich ähnlich zu verhalten. So habe er ausgerechnet in den unfreisten Ländern die dankbarsten Menschen angetroffen, schreibt Wood in derselben Studie. Selbst Aggressionen und Gewalt des Staatsapparats gegenüber der Bevölkerung erschienen hier bisweilen in positivem Licht und als notwendig und rechtens - ja als Garant für Sicherheit und Freiheit. Zur Folge habe das, vergleichbar mit missbräuchlichen Paarbeziehungen, dass Menschen gravierende Missstände zu lange hinnähmen und sich zu wenig für ihre Rechte stark machten. Eine nicht unwesentliche Rolle komme dabei auch den grossen Religionen zu, die fast einhellig eine moralische Verpflichtung zur Dankbarkeit erklären. Eine Aufforderung, die an der Seite autoritärer Staaten leicht zum Instrument sozialer Kontrolle werde und wohl auch immer wieder dazu beigetragen habe, Menschen dem Staat zu unterwerfen.
Deshalb: Sicher tun wir gut daran, uns mehr in Dankbarkeit zu üben. Doch schadet es auch nicht, das Gefühl immer mal wieder zu hinterfragen.
Weltweisheit
Es klingt ein Lied vom Himmel nieder
So wunderlieb, so klar, so rein,
Und deine Seele singts ihm wieder;
Sie will dem Himmel dankbar sein.
Die andern lauschen rings im Kreise;
Dann siehst du, dass sie lächelnd weitergehn.
Sie sind zu klug, sie sind zu weise,
Um das, was dich beseligt, zu verstehn.
Es kommt ein Strahl vom Himmel nieder;
Er leuchtet in dein Herz hinein,
Und dieses strahlt in andern wieder;
Es will dem Himmel dankbar sein.
Doch diese andern stehn im Kreise
Und lächeln über dich, das grosse Kind.
Sie sind zu klug, sie sind zu weise
Und drum für das, was dich beseligt, blind.
Und käm der Himmel selbst hernieder,
Um dankbar dann auch dir zu sein,
Und füllte alle deine Lieder
Mit seinem ganzen Sonnenschein,
Die andern ständen rings im Kreise
Und fiel das Lächeln ihnen wohl nun schwer,
Sie blieben doch so klug, so weise
Für das, was dich beseligt, wie vorher.
Karl May (1842– 1912)