Atem ist Leben
Der Atem ist ein Heilmittel, das wir alle jederzeit zur Hand haben. Mit Hilfe der Atemtherapie lassen sich Blockaden lösen, Stress vermindern und falsche Atemmuster beseitigen.
Sabine Hurni
Das Wissen über die Kraft des Atems ist sehr alt. Es hat seine Ursprünge in der griechischen Antike sowie in den östlichen Weisheitslehren wie Zen-Buddhismus, Qigong, Tai-Chi und Yoga. Sie alle nutzten den Atem für die geistige und persönliche Weiterentwicklung und das spirituelle Wachsen. Ab dem 19. Jahrhundert legten Gustav Heyer, Wilhelm Reich und Cornelis Veening die Basis für die heutige Atemtherapie. Der Niederländer Cornelis Veening war Sänger und hatte gesundheitliche Probleme. Mit Hilfe von Gustav Heyer, der die Lehren von Carl Gustav Jung studiert hat, und dem Arzt für Körperpsychotherapie, Wilhelm Reich, entwickelte er die «Leib-Seele-Entwicklung» über den Atem. Sie beinhaltet die Kenntnisse aus Gesang, Tiefenpsychologie und Körperlehren. Später widmete sich der Arzt Johannes Ludwig Schmitt der praktischen Anwendung der Atemwissenschaft. Er entwickelte mit seiner Atembehandlung eine Therapieform, welche die Selbstheilungskräfte des Menschen anregt und über den Atem eine wertvolle Hilfe zur Selbsthilfe bietet.
Nach 1945 wurden die, von den Vordenkern gelegten Grundlagen der westlichen Atemheilkunde in unterschiedlichen Ausprägungen von vielen Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt, vertieft und verbreitet.
Der freie Atemfluss
Der Atem ist mit allen lebensnotwendigen Grundfunktionen des Organismus verbunden. Der Automatismus des Atmens hält uns am Leben und versorgt ohne unser Zutun das Gehirn, das Herz und jede Körperzelle mit Sauerstoff. Sind wir gestresst, atmen wir anders als in der Entspannung. Jedes Gefühl, jedes Alltagserlebnis, jeder Gedanke und jede körperliche Veränderung hat einen Einfluss auf den natürlichen Atemfluss. Er wird aufgrund der Ereignisse entweder angeregt, vertieft oder teilweise eingeschränkt.
Jeder Mensch hat ein individuelles Atembild, dass sich in Stimme, Körperhaltung, Körperspannung, Bewegung, Energiegeschehen und auch im Gespräch zeigt. Dieses Bild erfasst die Fachperson für Atemtherapie am Anfang jeder Sitzung. Während der ganzen Therapiestunde richtet sich die Aufmerksamkeit auf den natürlichen Atem in seiner Bewegung und seiner Richtung. Das bewusste Atmen verschafft einen Zugang zu den inneren Abläufen und kann tief verborgene Prozesse in Gang bringen. Es erhöht die Empfindungsfähigkeit und die Selbstwahrnehmung.
Für Muskulatur und Psyche
Mit Hilfe der Atemtherapie kann sich die Lungenfunktion verbessern und falsch erlernte Atemgewohnheiten werden korrigiert. Gezielte Atem- und Körperübungen erleichtern das Atmen, stärken die Atemmuskulatur und wirken entspannend. Mit Dehnungen und Lockerungen wird der Körper neu «gestimmt», damit der Atem frei fliessen kann. Dies hat einen Einfluss auf die körperliche Ebene, aber auch auf den Geist und die Seele.
Leidet jemand an Asthma oder anderen Lungenkrankheiten, kann man die Muskulatur mit bestimmten Atemtechniken stärken. Bei Stress, Burn-out oder Depression ist der Atem Hilfsmittel, um den aktuellen Zustand des Körpers und das mentale Befinden besser wahrzunehmen. Man kann den Geist beruhigen, das Denken zum Schweigen bringen und in einen Zustand tiefer Entspannung finden. Aus diesen Gründen ist die Atemtherapie eine hilfreiche Unterstützung bei psychischen Erkrankungen, zur Stressreduktion oder zur Behandlung von körperlichen Problemen. Auch in der Geburtsvorbereitung wird die Atemtherapie genutzt. Sie erleichtert die Schwangerschaft und unterstützt während der Geburt.
Übung
Probieren Sie folgende kinesiologische Übung aus:
Stress ausatmen: Das ist eine Übung für Situationen, in denen man Angst und Stress im Körper fühlt. Legen Sie sich auf den Boden. Die Beine anwinkeln, sodass die Fussohlen den Boden ganz berühren. Die Arme liegen locker neben dem Körper. Jetzt heben Sie Ihr Becken leicht in Richtung Bauchnabel an. Drücken Sie die Wirbelsäule auf den Boden und atmen Sie aus. Bleiben Sie ein paar Sekunden in dieser Position und warten Sie, bis der Impuls zum Einatmen wieder kommt. Bewegen Sie nun das Becken zurück und nach hinten, sodass sich das Kreuz leicht anhebt. Atmen Sie dabei ein. Nun folgen Sie während einigen Minuten diesem Rhythmus. Beim Ausatmen das Becken zum Bauchnabel, beim Einatmen nach hinten rollen. Es sind kleine Bewegungen im Takt des natürlichen Atems.