Adolf Stähli – Jodler, Komponist und Naturmensch

Adolf Stähli aus Oberhofen war einer der berühmtesten Komponisten des Schweizer Jodelgesangs. Vor 25 Jahren verstarb der Schöpfer zahlreicher Lieder und Jutze. Er interessierte sich nicht nur für die Natur, sondern auch für die Naturheilkunde, wie eine denkwürdige Begegnung mit dem Naturarzt Dr. Alfred Vogel beweist.

Samuel Krähenbühl

Am 20. Juni dieses Jahres trafen sich mehrere hundert Jodlerinnen und Jodler zu einem sogenannten «Flashmob» beim Treffpunk in der Eingagshalle des Bahnhofs Bern. Sie sangen den «Bärgchilbi-Jutz» und das Lied «E gschänkte Tag». Beides sind Werke des Jodlerkomponisten Adolf Stähli. Er starb zwar bereits vor 25 Jahren am 31. Mai 1999 und somit noch im letzten Jahrtausend. Doch die Werke des Komponisten und Textdichters aus Oberhofen am Thunersee erfreuen sich anhaltend grosser Beliebtheit, wie das oben beschriebene Beispiel zeigt. Kaum ein volkstümliches Wunschkonzert, an dem nicht mindestens ein Stähli- Lied gewünscht wird. Kein Jodlerfest, an dem seine Kompositionen nicht gesungen oder gejutzt werden. Seine Beliebtheit ist namentlich im Bernbiet wohl unübertroffen. Selbst vielen jungen Menschen, die noch nicht geboren waren, als er verstarb, sind sein Name und zumindest einige seiner Lieder ein Begriff. «E gschänkte Tag», sein wohl bekanntestes Lied überhaupt, wurde sogar von Mundartrocker Polo Hofer, der selbst bis zu seinem Tod in Oberhofen lebte, gecovert.

Erstes Lied als Schulbub komponiert

Der am 2. Juni 1925 geborene Stähli war eine facettenreiche Persönlichkeit mit vielen verschiedenen Talenten und Begabungen. Für die Öffentlichkeit und die Nachwelt am bedeutendsten war aber sicher seine Tätigkeit als Komponist von Jodelliedern und Naturjutzen. Schon früh zeichnete sich sein Talent ab. Den Text zu seinem allerersten Lied – dem Justistal-Lied, hat er noch als Schulbub verfasst, wenn auch zunächst noch ohne Melodie. Noch fehlte dem blutjungen Stähli das Selbstvertrauen, selbst eine Melodie zu komponieren. So ging er mit dem Gedicht zu Jakob Ummel (1895- 1992), dem Komponisten des «Bärnbiets». Dieser sagte zu ihm: «Wenn einer solche Texte schreiben kann, dann kann er auch eine Melodie komponieren.» «Er hat die dichterische Ader von seinem Vater geerbt», erinnert sich seine Lebenspartnerin Heidi Koller. Noch heute hat sie in einem Couvert Blättchen voll Notizen aufbewahrt. Dabei war Stähli kein Schnellschreiber. Im Gegenteil, über manche Lieder und vor allem Texte brütete er Jahre, manchmal gar Jahrzehnte. Es kam selten vor, dass er ein Lied einfach in einem Zug niederschrieb. Heidi Koller erinnert sich nur an einen einzigen Fall: «Einmal ging er Pilze sammeln. Als er heimkehrte, kam er ohne einen einzigen Pilz, aber mit einem Lied nach Hause, dem Rosenlied (Säg mer, wenn dass d’Rose blüeje).»

«So gesellig und freundlich zu den Menschen Adolf Stähli war, so gerne zog er sich in die Stille der Natur zurück.»

 

Viele Eingebungen, langer schöpferischer Prozess

Das war aber die ganz grosse Ausnahme. Denn meist dauerte es viel länger. «Wenn er ein Lied fertig machen wollte, sass er nicht einfach ans Klavier und hat es fertig komponiert. Es entstand immer alles aus einer Eingebung, notiert auf vielen Papieren. Und zwar bis kurz vor seinem Tod. «Er hatte immer einen kleinen Block und einen Bleistift dabei. Er hat die ersten paar Takte notiert. Plus die Tonart und das Taktmass. Das hat für ihn gereicht. » So die Erinnerungen von Heidi Koller. Als Beispiel nennt sie das berühmte «We d’Schwälbeli i Süde zie». Es ist als sein letztes Lied erschienen. Aber die ersten Schwälbeli-Verse gab es schon drei oder gar vier Jahre früher. Jedoch hatte er noch keinen Jutz dazu. Doch dann hatte der Komponist eine Eingebung. Plötzlich sprach er zu seiner Partnerin: «Ich glaube, jetzt habe ich den Jutz fürs Schwälbeli!» Er hat die Solojodler (1. und 2. Stimmjodler) zu sich eingeladen und die Melodie mit ihnen einstudiert. Bis heute sind Stählis Kompositionen aber nicht nur wegen den Melodien beliebt, sondern auch wegen den Wortdichtungen, die seine Lieder begleiten. Sein Weggefährte Hanspeter Seiler nennt ihn ein «Sprachgenie», der mit wenigen Worten viel sagen konnte. Das sei auch in den Reden etwa an Delegiertenversammlungen so gewesen.

Medienstar Adolf Stähli

So gesellig und freundlich zu den Menschen Adolf Stähli war, so gerne zog er sich auch in die Stille der Natur zurück. Beim Wandern und Bergsteigen, aber auch beim Fischen, konnte er nicht nur den Alltag hinter sich lassen, sondern er konnte auch neue musikalische Ideen entwickeln. In der Fernsehsendung «Fyraabig» am 29. Januar 1987 erklärte er dem Moderator Sepp Trütsch: «Ich wäre eigentlich nicht ein Mensch, der ein Leben lang im Büro hätte verbringen sollen. Ich wäre ein Mensch gewesen, der in der Natur hätte leben sollen. Diesen Drang habe ich einfach. Und ich kann ihm dann am Samstag und Sonntag nachleben. Und weil der Sigriswilergrat nicht weit weg von mir zu Hause ist, ist es zu meinem Erholungsgebiet geworden.»

«Die Sendung kam sehr gut an», erinnert sich Moderator Sepp Trütsch. Und wie! Die bei Heidi Koller erhaltenen, fein säuberlich in einem Ordner aufgereihten Dokumente zeigen eine beeindruckende Zahl von über 100 Briefen und Postkarten, die Stähli im Nachgang als Reaktion erhielt. Dazu seien Dutzende Telefonanrufe gekommen, erinnert sich Heidi Koller. Unter den Zuschriften waren einige prominente Absender. Einer der bekanntesten war der berühmte Naturarzt Dr. Alfred Vogel (1902-1996). Hier eine Passage aus seinem Brief: «Ich werde Ihnen auch die Dezember- Nummer meiner Gesundheitsnachrichten zuschicken, denn dort sehen sie einen Artikel: Die drei Säulen der christlichen Ethik. Ich vermute, dass dies dem entsprechend könnte, was Sie im Innersten Ihres Herzens empfinden, glauben und hoffen. Da Sie auch ein guter Poet sind, schicke ich Ihnen noch das Büchlein «Des Lebens Fülle». Es ist von meiner, leider verstorbenen, Lebensgefährtin geschrieben. Ueber 50 Jahre war sie an meiner Seite tätig. Wir hatten uns für die vielfältigen Aufgaben viel zu stark eingesetzt, wir konnten nie Neinsagen, und da ihre Lebensbatterie nicht so stark geladen war, wie die meine, hat sie mich zu früh verlassen. Ich hoffe nicht fehlzugehen in der Annahme, dass ich Ihnen und Frau Koller mit diesen beiden Büchern und der GN-Nummer eine Freude bereiten kann. Es würde mich sehr freuen, wenn ich einmal Gelegenheit hätte, Sie persönlich kennen zu lernen. Oberhofen ist für mich ein Begriff, denn ich war befreundet mit Herrn Dr. Berger von dort.»

Begegnung mit Naturarzt Dr. Alfred Vogel

Und tatsächlich: Die Begegnung des berühmten Jodlers mit dem berühmten Naturarzt kam zu Stande. Adolf Stählis Partnerin Heidi Koller berichtet über das denkwürdige Ereignis: «Nach der Fyraabig-Sendung von 1987 hat sich Dr. Vogel bei uns gemeldet. Er hat seiner Freude Ausdruck gegeben. Er habe den Eindruck, dass die Chemie zwischen ihnen passen würde. Er würde Stähli gerne kennenlernen. Ein Treffen erfolgte. Von Oberhofen ging es ins Justistal. Die Idee war, vom Chlyne Mittelbärg über die Alpen Rossschatten und Grosser Mittelberg bis in den Oberhofner zu wandern. Doch wir kamen dann nur gerade knapp bis zum Rossschatten. Dr. Vogel hat immer wieder spannende Pflanzen entdeckt und über sie doziert. Die Freude war gegenseitig und die Chemie hat gestimmt. Bereits Adolfs Mutter hatte den «kleinen Doktor» von Vogel.» Sein Interesse an der Naturheilkunde war übrigens auch in der Dorfdrogerie Jutzi in Oberhofen bekannt. Sabine Keller-Berger, die Anfang der Neunzigerjahre dort ihre Ausbildung absolvierte, erinnert sich noch heute sehr gerne an den eher kleinen Mann mit grossem Charisma, der sich als Kunde stets stark für naturheilkundliche Mittel und Methoden interessiert habe.

 

Kurzbiographie Adolf Stähli

Adolf Stähli (* 2. Juni 1925 in Oberhofen am Thunersee; † 31. Mai 1999 ebenda) war ein Schweizer Jodler, Dirigent, Komponist und Dichter. Die Worte seines ersten Jodelliedes, dem Justistallied, brachte er schon während dem siebten Schuljahr erstmals zu Papier und die Melodie blies er vorerst auf seiner Trompete – zusammen mit dem Vater und zwei Brüdern gehörte er schon sehr bald zu den Stützen der Oberhofner Musik. Viele seiner Lieder und vor allem auch Naturjutze entstanden im Justistal, in dem er einen Grossteil seiner Freizeit verbrachte. Von 1956 bis 1998 leitete er den Jodlerklub Oberhofen, der seine Jutze und Lieder anlässlich der Konzerte oder bei einem Auftritt an einem Jodlerfest immer uraufführte. Er komponierte über 80 Lieder und Naturjodel für Chor, Duett und Solo.

Adolf Stähli und das Justistal

Wie die meisten Oberhofner hatte auch Adolf Stähli eine besonders enge Beziehung zum Justistal. Dies, obschon das zwischen Sigriswilergrat und Güggisgrat gelegene Tal mit seiner gebirgigen und doch lieblichen Landschaft politisch zur Gemeinde Sigriswil und nicht etwa zu Oberhofen gehört. Aber die Gemeinde Oberhofen ist seit Menschengedenken Eigentümerin der hintersten Alp im Justistal. Kein Wunder, dass sich Stähli von der Landschaft dieses einzigartigen Bergtales inspirieren liess. Auf jeden Fall müssen die Gänge ins Justistal für den jungen Stähli sehr prägend gewesen sein. Denn wohl nicht umsonst begann sein musikalisches Wirken mit einem Gedicht über das Justistal, das später zu seinem ersten Lied wurde. Ja, die Worte seines ersten Jodelliedes, dem Justistal-Lied, brachte er schon während dem siebten Schuljahr erstmals zu Papier. Auch später liess er sich für viele seiner Lieder und vor allem auch Naturjutze durchs Justistal und die umgebenden Berge inspirieren. Der Komponist hinterliess zahlreiche Lieder mit Bezug zum Justistal oder zum Älplerleben. Neben dem Justistal-Lied waren das etwa «Chüejerläbe», «Bärgchilbi-Jutz» oder der «Justistaler- Bärgjutz». Bemerkenswert ist auch, dass auf sämtlichen in Stählis eigenem Liedverlag erschienenen Partituren eine Zeichnung der alten Hütte des Grossen Mittelbergs, der grössten Alp des Justistals, abgebildet ist.

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