Den Gefühlen freien Lauf lassen
Ein weisses Blatt kann auf den ersten Moment einschüchternd wirken, doch es bietet unendlich viele Möglichkeiten. Mit jedem Pinselstrich kann man dem Ausdruck verschaffen, was einem gerade beschäftigt und seine Gefühle frei fliessen lassen.
Blanca Bürgisser
Malen hilft die eigenen Gefühle bildlich auszudrücken, auch jene, die man nicht in Worte fassen kann. Der Gestaltungsprozess bietet Zugang zum eigenen Selbst und momentanen Herausforderungen aber auch zu den eigenen Ressourcen. Genau mit diesem Ansatz arbeitet die Gestaltungs- und Maltherapie. «Durch das bildnerische Gestalten werden kreative Lösungsstrategien gefördert, der Mut zum Experimentieren angeregt und die Fähigkeit gestärkt, auf innere und äussere Umstände Einfluss zu nehmen», erklärt Jolanda Baldachin, Kunsttherapeutin mit eigener Praxis in Knonau.
Die Kunsttherapie nutzt kreative Prozesse, um psychische Probleme zu bearbeiten. So kommen Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen zu Jolanda Baldachin in die Praxis. Ein Aspekt ist die Auseinandersetzung mit Krankheits- und Krisensituationen wie Depressionen, Burn-out, Angststörungen, Trauma oder Verlust. Aber auch zur Nachbehandlung nach einem Spital- oder Klinikaufenthalt oder wenn sich Menschen in Veränderungs- und Ablösungsprozessen befinden. Im Umgang mit AD(H)S und Autismus kann die Gestaltungs- und Maltherapie ebenfalls unterstützen.
«Der kreative Prozess kann Menschen helfen, belastende Emotionen und traumatische Erlebnisse zu verarbeiten», erklärt die Kunsttherapeutin Jolanda Baldachin. «Das Erstellen von Kunstwerken kann Klient*innen helfen, innere Spannung abzubauen und ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren», fügt die Kunsttherapeutin an. Die Kunst ist eine Form der Achtsamkeit, die hilft Körper und Geist zu entspannen. Das Entdecken der Kreativität in der Gestaltungs- und Maltherapie stärkt zudem das Selbstbewusstsein.
«Malen hilft die eigenen Gefühle bildlich auszudrücken, auch jene, die man nicht in Worte fassen kann.»
Der Kreativität freien Lauf lassen
«Eine Gestaltungs- und Maltherapie-Sitzung kann in vier Phasen eingeteilt werden», erläutert Karin Bösch. Sie ist Kunsttherapeutin mit eigener Praxis in der Stadt Luzern. Als erstes bespricht sie mit ihren Klient*innen das Thema der Sitzung. Während die individuellen Ziele sehr vielfältig sind, gibt es übergeordnete Ziele, wie das Fördern der Autonomie sowie der Selbstregulierung, das Erlernen sozialer Kompetenzen und das Training kognitiver Kompetenzen. Die individuellen Wünsche gehen von der Förderung der Beziehungs- und Reflexionsfähigkeit bis zur Neuergründung der Wahrnehmung und dem Lösen von erstarrten Denk- und Handlungsmuster.
In einem nächsten Schritt wählt Karin Bösch die geeignete Mal- oder Gestaltungsaufgabe. Zum Beispiel das Ausdrücken eines Gefühls in Farben und Formen oder das Erstellen einer Collage mit verschiedenen Elementen. Alternativ bietet sie eine Auswahl an Interventionen an, die es den Klient*innen ermöglicht, diejenige auszuwählen, die ihrer Befindlichkeit am besten entspricht. Gearbeitet wird dabei mit den unterschiedlichsten Materialien, von Gouache und Aquarell bis Ton oder Gips ist alles möglich. Danach folgt die Vertiefungsphase, in der gemalt und gestaltet wird. Zum Abschluss wird das Werk gemeinsam besprochen. Die Bilder werden nicht nach einem bestimmten Schema gedeutet. «Wichtig ist, was die Künstler*innen dazu erzählen», erklärt die Therapeutin. So werden etwa Farben von Menschen unterschiedlich gedeutet. Für manche steht Rot für Liebe und Geborgenheit, während es für andere Gefahr und Stress symbolisiert. Die gewonnenen Erkenntnisse können Anstoss für weiteres künstlerisches Wirken geben oder eine Hilfestellung für den Alltag sein.
Die Gestaltungs- und Maltherapie kann nicht nur in Einzelsitzungen, sondern auch in Gruppensettings stattfinden. Dabei stehen die Interaktion und Kommunikation zwischen den Teilnehmenden im Fokus. Es werden soziale Fähigkeiten und Teamarbeit gestärkt und es entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit.
gpk Fachverband für Kunsttherapie
Der gpk – Fachverband für Kunsttherapie wurde 1985 gegründet. Mit knapp 500 Mitgliedern ist der gpk der grösste Berufs- und Fachverband der Kunsttherapeut*innen der Deutschschweiz aller Fachrichtungen. Der gpk ist Mitglied des Dachverbandes OdA ARTECURA, Trägerin der eidgenössischen Höheren Fachprüfung für Kunsttherapie.
Mehr erfahren: www.gpk.ch