Sabine Hurni über das Unterwegssein mit Stift und Papier
Schreiben Sie? Also ich meine so richtig, von Hand mit Stift auf Papier? Es gibt unzählige Flächen, die wir beschreiben können, so zum Beispiel Postkarten, Tagebücher, Briefpapier, Karten, Einkaufszettel, Notizblöcke und vieles mehr. Wer schreibt, ist nie ganz allein, sondern ist verbunden mit der Person, an die sich die Zeilen richten, mit sich selbst, wenn die eigenen Gefühle zu Papier gebracht werden oder mit einer Fantasiewelt, wenn auf dem Papier Geschichten entstehen.
Wenn wir über das Licht schreiben, das durch die Blätter schimmert, sind wir mit der Natur verbunden und wenn ich am Meer sitze und über die nicht enden wollende Weite schreibe, bin ich vermutlich mit dem ganzen Universum verbunden. Wir sind beim Schreiben in bester Begleitung mit den eigenen Gedanken, der Haptik des Papiers, dem Stift, der leicht kratzend über die Fläche gleitet und der Hand, die sich emsig über das Blatt bewegt.
Beim Schreiben von Hand sind laut dem deutschen Schreibmotorikinstitut zwölf Hirnareale aktiv und mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke spielen, zusammen. Verarbeite ich einen Text von Hand, legt das Gehirn eine motorische Gedächtnisspur an, dank der sich die Merkfähigkeit steigert. Es lohnt sich also, sich beim Durcharbeiten eines Textes Notizen von Hand zu machen. Der Vorteil des Schreibens von Hand ist, dass sich immer ein Stift und ein Blatt findet. Es ist flexibel, an keinerlei Technik gebunden, direkt und intuitiv. Wer seine Notizen handschriftlich macht, strukturiert seine Gedanken, fördert die eigene Kreativität und bringt seine Visionen aufs Papier. Oder anders gesagt: Das Schreiben von Hand hilft beim Denken.
Ich bin eine passionierte Von-Hand-Schreiberin. Notizbuch und Stift sind bei mir immer mit dabei. Ich schreibe im Café, im Zug, zu Hause, in der Natur und immer, wenn mir ein bisschen langweilig ist. Ist niemand da, mit dem ich mich unterhalten kann, greife ich zu Stift und Buch und die Welt lacht. «Jetzt haben Sie einfach so, ohne zu überlegen und ohne Unterbruch mehrere Seiten ihres Heftes gefüllt», staunte kürzlich ein Mann, der mich beim Schreiben in einem Café beobachtet hat. Was er nicht wissen konnte, war, dass ich mir beim Schreiben feste Zeiten vorgebe, in denen ich die Hand in Bewegung halte. Manchmal muss ich einen Satz mehrmals schreiben, bis mir ein neuer Gedanke oder ein neuer Aspekt des Themas einfällt.
Diese Methode des intuitiven Schreibens hilft, wertfrei alles von sich zu geben, was durch den Stift herausfliessen will. In dieser festgelegten Schreibzeit, meistens sind es 10 bis 30 Minuten oder dreimal 10 Minuten, schreibt man ohne Unterbruch, streicht nichts, überlegt nicht zu viel, kümmert sich weder um Rechtschreibung und Grammatik und lässt sich vollkommen gehen. Natalie Goldberg, eine der führenden Stimmen im Bereich des kreativen Schreibens, propagiert diese Art des Schreibtrainings zum Verdauen des Alltäglichen, zum Entdecken von neuen Gedanken und als Nährboden für die eigene Kreativität. Sie können auf diese Weise die Natur schreibend betrachten, sich selbst näherkommen oder Ihre Fantasie mit sich durchgehen lassen, indem Sie über das Leben eines Menschen schreiben, der in Ihrer Nähe nichtsahnend an einem Tisch seinen Cappuccino trinkt – oder vormittags ein Glas Prosecco. Diese Geschichte würde bei mir zum Beispiel so anfangen: «Theodora setzte sich an einen schönen Tisch am Fenster und bestellte ein Glas Prosecco. Es war 11 Uhr und Theodora …».
Wenn Sie jetzt hoffentlich etwas häufiger im Liegestuhl sitzen oder sich am Ufer eines Gewässers entspannen, möchte ich Ihnen ans Herz legen: Schreiben Sie! Ein handgeschriebener Text, den man einfach so unter einem Baum sitzend verfasst, könnte zum Beispiel mit dem Satz beginnen: «Ich weiss noch, wie …» oder «Ich erinnere mich …». Wenn Sie sich hingegen ärgern oder ein Gespräch verarbeiten, dann eignet sich der Einstieg: «Was ich eigentlich sagen wollte, ist …». Lassen Sie Ihre Augen schweifen, dort wo sie hängen bleiben, darüber schreiben Sie während einer Zeitspanne, die Sie selbst festlegen. Ideal sind anfangs 15 Minuten – und ein bisschen mehr. Sie werden staunen, welch grosser Schatz an Worten, Geschichten und Ideen in Ihnen schlummern! Wichtig ist das TUN, das Resultat kann gut sein, muss aber nicht.
Oder schreiben Sie mal wieder eine Karte oder einen Brief! Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, Geburtstagswünsche per SMS oder gar per Mail zu übermitteln. Das ist zwar praktisch und schnell, doch es ist einfach nicht dasselbe, wie wenn eine farbenfrohe Karte im Briefkasten liegt. Ein persönlicher Gruss, von Hand geschrieben, vermittelt Echtheit wie auch Nähe und ist immer ein Grund zur Freude.•
Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda-Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.