Getarnte Tomaten und gefrässige Murmeltiere

Auf der Walliser «Route du Bonheur» der Hotelvereinigung «Relais & Châteaux» lernt man, wie die Spitzengastronomie «Slow Food» interpretiert und wie ausgerechnet McDonald’s zum Geburtshelfer der Bewegung wurde.

Daniel J. Schüz

Klitzeklein, kugelrund und knallrot: Der «Gruss aus der Küche», das «Amuse-Bouche », diese Gaumenfreuden spendende Visitenkarte des Küchenchefs, ist längst Standard – nicht nur in den «Relais & Châteaux»-Gourmet- Tempeln. Das «Chalet Hotel Schönegg» in Zermatt fällt unter den weltweit 580 Mitgliedern der Vereinigung exklusiver Hotels und Restaurants durch einen delikaten Kontrast auf: So erhaben und spektakulär der schönste aller Berge in den Himmel ragt, so dürftig und unscheinbar ruht die kleinste aller Feldfrüchte auf dem Teller. Hier Cherrytomate, dort Matterhorn.

Der Gast lässt sich von den Tischnachbar*innen schildern, wie alles begonnen hat ...

«Wir sind Gastgeber aus Leidenschaft», betont Jan Stiller. Als Schweizer und Liechtensteiner «Relais & Châteaux»-Delegierter vertritt er 24 Mitglieder und führt an der Lenk das Fünf-Sterne-Superior-Hotel «Lenkerhof». Der Vielfalt dieser Häuser seien kaum Grenzen gesetzt, sagt er. Aber: «Die Bedingungen sind klar: Der Betrieb sollte familiär geführt werden und darf keiner Kette angehören. Die Küche erfüllt höchste Ansprüche, Nachhaltigkeit ist oberstes Gebot. Das hat sich seit siebzig Jahren bewährt.»

Die Strasse, die Paris mit der Côte d’Azur verband, war damals schon hoffnungslos überlastet. Wer die Gluthitze meiden wollte, legte eine Rast ein – in einem der acht Schlösser und noblen Anwesen, die diese erste von heute 146 «Routes du Bonheur» säumen. Noch früher, als Reisende den «Weg zum Glück» unter die Räder ihrer Kutschen nahmen, dienten die Herbergen als Relais-Stationen, wo hungrige Menschen mit erlesenen Gerichten verwöhnt und müde Pferde gegen ausgeruhte Tiere ausgetauscht wurden. «Es lag nahe», sagt Stiller, «dass die Häuser sich zusammenschlossen: 1954 legten sie den ‹Relais & Châteaux›-Grundstein.»

«Dreissig Jahre später schlug in Italien die Geburtsstunde der Nachhaltigkeit», nimmt Brigitte Streiff den Faden auf. Sie vertritt im Vorstand des Vereins Slow Food Schweiz die Romandie. Der Skandal, der 1984 die italienischen Gemüter erregte, war für die «R&C»-Philosophie blanker Hohn: Im Herzen von Rom eröffnete der Fastfood-Riese McDonald’s die erste Filiale des Landes. Die Antwort auf die Provokation kam subito: Slow Food. Mit «langsamem Essen» begründete der Gastronom Carlo Petrini eine Bewegung, die sich weltweit durchsetzte. «Die Slow-Food-Küche verwertet ausschliesslich pflanzliche und tierische Produkte, die weder Transportwege noch Lagerzeiten hinter sich haben», fährt Brigitte Streiff fort. «Saisonal und regional bedeutet frisch und gesund.»

Natürlich ist manch ein hochdekorierter Chef gewarnt worden, er könne, wenn er die Gänsestopfleber oder den Loup de Mer von der Speisekarte verbanne, den einen oder anderen Michelin-Stern verlieren. «Derlei Befürchtungen haben sich rasch als unbegründet erwiesen», bilanziert Jan Stiller. «Haute Cuisine und Nachhaltigkeit sind problemlos miteinander vereinbar.»

So auch beim jährlichen Gipfeltreffen der Chefs im «Châlet d’Adrien» in Verbier. Der Höhepunkt: ein Fünf-Gänge-Diner unter dem Motto «Käse und Wein», zubereitet und angerichtet von fünf Chefs, die 85 GaultMillau-Punkte und vier Michelin-Sterne auf sich vereinten.

Seit dem Fastfood-Schock von Rom sind dreissig Jahre ins Land gegangen, bis die Unesco 2014 die «R&C»- Prinzipien absegnete. Das Manifest, das die Bemühungen um den Schutz von Natur- und Kulturgut würdigt, ziert jede «Relais & Châteaux»-Küche. 

Eine besonders hübsche Überraschung ist dem Chef Reinhold Wrobel mit seinem Gruss aus der Zermatter «Schönegg»-Küche gelungen. Seine «Cherrytomate» ist eine raffinierte Kreation aus Zwiebeln, Knoblauch und Pelati. «Alles fein gehackt, mit Rosmarin und Basilikum abgeschmeckt. Olivenöl, Zucker, Salz, Pfeffer dazu; auf kleinem Feuer aufköcheln, abkühlen lassen und in einer Silikonkugel einfrieren», lüftet Wrobel das Geheimnis der Fake-Tomate. Auch Karotten sind in Saas-Fee begehrt. Im «Walliserhof», einer weiteren «R&C»-Herberge auf der «Route du Bonheur», packt Laura Anthamatten, Sales & Marketing Direktorin, das Wurzelgemüse in den Rucksack: «Zieht die Wanderschuhe an. Ich zeig euch, wie freundlich die Walliser*innen sind!»

Die Weide beim Stafelwald ist übersät mit Erdlöchern. «Leise!» Schon reckt das erste Murmeltier den Kopf aus der Höhle, nimmt ein Rüebli zwischen die Pfoten und lässt sich streicheln, während es am Gruss aus der «Walliserhof»-Küche knabbert – langsam, genüsslich. Und unbeirrt.

Die freundlichsten Murmeltiere der Welt leben in den Walliser Bergen. Sie sind heikle Feinschmecker. Und sie mögen es slow.

Die Reportage wurde von Relais & Châteaux unterstützt.

www.relaischateaux.com

www.schonegg.ch

www.walliserhof-saasfee.ch

www.chalet-adrien.com

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