Fermentieren macht es leichter

Fermentieren zählt zu den ältesten Methoden, Lebensmittel haltbar zu machen. Dank der gewollten Gärung entstehen neue Geschmacksnoten und gesundheitliche Vorteile.

Monika Neidhart

«Eben geht mit einem Teller Witwe Bolte in den Keller, dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole, wofür sie besonders schwärmt, wenn er wieder aufgewärmt.» Wilhelm Busch widmet diese Zeilen, die aus dem zweiten Streich von Max und Moritz stammen, dem Sauerkraut. Es ist wohl das bekannteste Beispiel für fermentiertes Gemüse. Die Konservierungsart war nicht erst in den 1870er-Jahren bekannt, als die Verse entstanden. Fermentieren gilt als eines der ältesten Verfahren, Nahrungsmittel haltbar zu machen. Die Grundlage dafür ist eine Gärung, die mit den natürlich vorhandenen Bakterien gezielt angeregt wird. So leitet sich der Name auch vom lateinischen Wort für Gärung «Fermentum» ab. Im Alltag essen wir mehr fermentierte Produkte, als uns wohl bewusst ist. Neben dem bekannten Sauerkraut gehören auch Joghurt, Käse, Brot, Wein, Bier Salami, Schokolade, Kaffee, Tee und Gemüse dazu. Auch weltweit ist Fermentiertes beliebt. In Italien kennt man die Fischsauce Garum, die in der antiken römischen Küche Standardgewürz war. In Japan sind es u. a. Shoyu und Misopaste, die aus Sojabohnen hergestellt werden. Kimchi ist das koreanische Pendant zu unserem Sauerkraut und aus China stammt der Kombucha, ein fermentierter Schwarztee.

Milchsäurebakterien machen das Werk Die Hauptarbeit beim Fermentieren leisten Milchsäurebakterien. Sie sind natürlich vorhanden oder können durch Molke als Starthilfe beigegeben werden. Die Anfangstemperatur beträgt idealerweise 20–22 °C. In dieser Wärme können sich die gewünschten Bakterien optimal vermehren. Fäulniserreger und andere unerwünschte Mikroorgansimen werden derweil mit dem zugefügten Salz in Schach gehalten. Im geschlossenen Konservierungsglas entsteht bald ein Vakuum, weil der Restsauerstoff durch die Milchsäurebakterien aufgebraucht wird. Gleichzeitig werden Zucker und Proteine in Alkohol, Säure und Kohlendioxid umgewandelt, andere weniger verträgliche Säuren wie Oxalsäure oder Phytinsäure abgebaut (was u. a. ein Sauerteigbrot bekömmlicher macht). Vitamine, Mineralstoffe und Enzyme bleiben dabei erhalten oder vermehren sich. Fortan wirkt die entstandene Säure konservierend. Aus den verschiedenen biochemischen Prozessen entstehen gesundheitliche Vorteile, wie Isabelle Frey-Wagner im nebenstehenden Interview erklärt.

Mit der Milchsäuregärung werden Nahrungsmittel nicht nur haltbar gemacht, sondern auch veredelt. Die veränderte Textur, der saure, salzige Geschmack und das intensive Aromabouquet, auch in Richtung Umami, wird in vielen Nahrungsmitteln geschätzt, ja gesucht. Dafür verantwortlich sind Hefearten, die sich im gleichen Milieu entwickeln können und für die Würze sorgen. Das Fermentieren ist ein natürlicher Vorgang. Es entstehen keine hochkontrollierten, standardisierten Industrieprodukte, sondern solche mit «Ecken und Kanten». Wer sich auf das Fermentieren einlässt, muss sich dem bewusst sein. Das Potenzial, tiefe und neue Geschmackskomponenten den Nahrungsmitteln zu entlocken, lohnt sich auszuprobieren. René Redzepi, der hochdotierte Starkoch aus Kopenhagen, leistet sich neben seinem Restaurant Noma ein eigenes Fermentationslabor. Für ihn ist das Fermentieren eine tragende Säule seiner Küche. Neben Gemüse und Würzsaucen aus Fleisch oder Fisch fermentiert er auch Beeren und Früchte. Eigentlich gebe es kaum Grenzen, meinte er in einem Interview. Er verspricht: «Bereits mit hochwertigem Apfelessig, hervorragender Misopaste und Sojasauce bringt man seine Küche auf ein höheres Level.»

Konservierungsart mit wenig Aufwand Erstaunlich, wie wenig es braucht, selber fermentierte Konserven anzulegen. Vielleicht sind jetzt, im Übergang von Lagergemüse zu Frühlingsgemüse, noch Vorräte von Kohlgemüse, Wurzelgemüse, Sellerieknollen oder Randen übrig. Sie können dank der Konservierungsart für weitere Monate haltbar gemacht werden. Allerdings sollte das Ausgangsprodukt gut sein. Holzige Kohlrabi oder fasriges Gemüse wird auch durch die Milchsäuregärung nicht besser. Als einziges Gemüse müssen Bohnen vor dem Einsäuern fünf bis zehn Minuten vorgekocht werden.

Geräte und Gläser müssen sehr sauber sein. Rotkabis und andere Kohlarten in feine Streifen schneiden, mit Salz (pro Kilogramm Gemüse acht bis fünfzehn Gramm Salz) und anderen Gewürzen (Dill, Kümmel, Koriander, Senfkörner, Meerrettich, Zwiebeln, Knoblauch, Wacholderbeeren, Estragon, Bohnenkraut) kräftig durchkneten bis so viel Saft austritt, dass das Gemüse bedeckt ist. Gemüse und Früchte, die nicht geknetet werden, in mundgerechte Stücke schneiden und über Nacht mit dem Salz zugedeckt kühl stellen. Später beim Einfüllen den Inhalt gut zusammendrücken und mit ausgekochten Steinen und oder mit einem Kabisblatt abdecken. Wichtig ist, dass die Nahrungsmittel ganz mit dem Salzwasser bedeckt sind. Ansonsten abgekochtes, ausgekühltes Salzwasser (25 g auf einen Liter) beifügen. Vor dem luftdichten Verschliessen Glasränder reinigen. An einen dunklen Ort stellen. Die erste Phase der Gärung ist entscheidend. Wichtig ist, dass die empfohlene Temperatur eingehalten wird. Nach zwei bis drei Tagen zeigen kleine Blasen im Glas an, dass der Gärungsprozess begonnen hat. Nun das Gemüse zwei bis drei Wochen weiter bei Zimmertemperatur fermentieren lassen. Zwischendurch probieren und eventuell mit Salzlake nachfüllen, falls der Inhalt nicht bedeckt ist. Ist es genügend sauer, Gläser in den Kühlschrank stellen. Danach sind sie mehrere Monate haltbar. Einmal geöffnet, im Kühlschrank aufbewahren und innerhalb von drei Wochen geniessen.

Beim Vorgang der Milchsäuregärung kann es zu einer starken alkoholischen Gärung kommen. Beim Öffnen des Glases zischt es und der Saft ist kohlensäurehaltig. In diesem Fall das Glas unverschlossen einen Tag stehen lassen. So können sich der Alkoholgeschmack und die Bläschen verflüchtigen. Fermentiertes Gemüse, das gelungen ist, duftet aromatisch. Es hat eine Säure, die milder ist als diejenige beispielsweise von Essiggurken. Und es ist vollmundig. Ist der Saft jedoch trüb, riecht etwas unangenehm oder schimmelt gar etwas, muss der Inhalt leider weggeworfen werden. Bei Histamin-Unverträglichkeit sollte man mit dem Konsum zurückhaltend sein. Auch, wenn man auf seinen Salzhaushalt achten muss.

Witwe Bolte mag ihr Sauerkraut gekocht. Die positiven Wirkungen und die verbesserte Verdaulichkeit bleiben dabei erhalten, im Gegensatz zu den hitzelabilen Nährstoffen. Mit Blick z. B. auf das Vitamin C ist das Rohessen idealer. Die übrig gebliebene Flüssigkeit nicht weggiessen. Sie kann als Starter für die nächste Fermentation, anstelle von Essig in Salatsaucen verwendet oder schluckweise vor den Mahlzeiten getrunken werden.

 

«Die Fermentation fördert die Verdaulichkeit»

Isabelle Frey-Wagner ist Lebensmittelchemikerin und Ernährungswissenschaftlerin. Projektleiterin Mikrobiota-Analysen am Institut für Medizinische Mikrobiologie der UZH und Dozentin. Sie zeigt die Vorteile von fermentierten Lebensmitteln auf.

Interview: Monika Neidhart

«natürlich:» Wie gesund sind fermentierte Nahrungsmittel?

Isabelle Frey-Wagner: Es gibt unzählige Hinweise auf positive Einflüsse bei häufigem Verzehr fermentierter Produkte, wie Gewichtskontrolle, Blutzucker- und Lipid-Spiegel, geringeres Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen, Diabetes, Verstopfung, Tumor-Erkrankungen und niedrigeres Allergierisiko. Am besten ist das für fermentierte Milchprodukte untersucht.

Wie erklärt man sich die Wirkung fermentierter Produkte auf die Gesundheit?

Die Fermentation verändert die Nährstoffzusammensetzung und fördert die Verdaulichkeit. Schwer verdauliche oder verträgliche Stoffe (u. a. Laktose, FODMAP) werden abgebaut, Vitamine (Biotin, Vitamin K) werden gebildet und die Bioverfügbarkeit von z. B. Flavonoiden aber auch Kalzium, Magnesium und Eisen wird verbessert. Zudem erhöhen sie die Vielfalt des Darmmikrobioms. Die enthaltenen Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte stimulieren das Immunsystem, wirken anti-entzündlich und können sogar die Abwehr gegen Krankheitserreger unterstützen.

Gilt das für alle fermentierten Nahrungsmittel; vom Bier über Sauerteigbrot bis zum Getränk?

Die Mechanismen, wie ein fermentiertes Produkt wirkt, sind vielfältig. Entsprechend hängt es davon ab, welchen Einfluss die Fermentation auf seine Nährstoffzusammensetzung hat, ob es lebende Bakterien enthält oder erhitzt wurde (backen, pasteurisieren, …) oder ob die verwendeten Mikroorganismen entfernt wurden (Wein, Bier oder ähnliches).

 

Rezept Fermentierter Sellerie mit Thymian

(für ein Glas von ca. 1 Liter Inhalt)

Zutaten:

  • 800 g geschälter Knollensellerie
  • Mehrere Zweige Thymian (nach Belieben)
  • 20 g Salz, reines (ohne Zusatzstoffe und Rieselhilfe)
  • 1 Liter Wasser
  • 25 g Salz, reines
  • Ausgekochter Stein

Vorgehen:

1. Tag

Sellerie in ca. ½ cm Würfel schneiden. Thymian waschen, abtropfen, Blätter abzupfen. Mit 20 g Salz in einer Schüssel mischen. Zugedeckt über Nacht kaltstellen.

2. Tag

Glas und Deckel sauber waschen. Für die Salzlake einen Liter Wasser und 25 g Salz mischen, bis Salz gelöst ist. Selleriemischung ins Glas einfüllen. Fest anpressen. Salzlake bis ca. 3 cm unter den Rand einfüllen. Mit Stein beschweren. Rand des Glases sauber reinigen. Luftdicht verschliessen. Sicherheitshalber in eine Gratinform stellen, bevor das Glas dunkel und bei Zimmertemperatur gelagert wird.

3.

2–3 Wochen lagern, bis der gewünschte Geschmack erreicht ist (probieren, evtl. Salzlake nachgiessen) Zum Beenden der Fermentation Gläser in den Kühlschrank stellen.

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