«Es ist der einzig richtige Weg»

Beim Prinzip «Nose to Tail» sollen Schlachttiere möglichst komplett verwertet werden. Ein Blick ins Berner Darling Restaurant zeigt: Dieser Trend nützt Gastgeber*innen wie Gästen.

Benjamin Haltmeier

Was bringt Bio-Zucht, wenn nur die magersten und zartesten Stücke des Tiers verwendet werden? Wie nachhaltig sind regionale Produkte, wenn es ein grosser Teil davon gar nicht erst auf den Teller schafft? Die Schweizer Bevölkerung konsumiert pro Jahr und Person durchschnittlich über 50 Kilogramm Fleisch – doch bei der Auswahl zeigt sich die Bevölkerung wählerisch: Gemäss der Proviande-Genossenschaft herrscht beim Konsum ein steter Trend hin zu den Edelstücken, während die weniger beliebten Teile zunehmend zu Tierfutter oder Biogas verarbeitet werden. Filet statt Leber oder Herz, Entrecôtes statt Siedfleisch und Zunge – diese Entwicklung ist alles andere als nachhaltig. Doch einige Betriebe geben Gegensteuer.


Täglich Neues entwickeln

«Foodwaste? Nicht bei uns!» Dieses Motto des Darling Restaurants im Berner Breitenrain-Quartier bezieht sich längst nicht nur auf Gemüse und Beilagen. Das Team um die Co-Küchenchefs Florin Rohrer und Till Keller arbeitet an der Kasernenstrasse schliesslich nach dem Prinzip «Nose to Tail» – da wird auch bei Bauernterrine, Saltimbocca und ’Nduja-Wurst nichts verschwendet, sondern von Kopf bis Fuss des Tieres nach neuen Rezeptideen gefragt. «Für uns hat dieses Konzept einen hohen Stellenwert, da uns die ganzheitliche Verwendung wichtig ist. Wir möchten unseren Gästen bewusst machen, dass ein Tier nicht nur aus Edelstücken besteht», erklären Rohrer und Keller.

Ihr Fleisch beziehen die beiden Küchenchefs von der Bio-Metzgerei Boulotte am Breitenrainplatz. Je nach vorrätigen Produkten wird das Menü im «Darling» dann anders zusammengestellt: «Dank der engen Zusammenarbeit mit der Metzgerei ist es uns möglich, täglich neue Gerichte zu entwickeln, in denen die Philosophie von ‹Nose to Tail› gelebt wird.» Dabei setzt das Koch-Duo vor allem auf Innereien, Schmorfleisch und sogenannte «Second Cuts», die preiswert sind und auf kreative Weise verarbeitet werden können. «So bleibt das Konzept für uns wie für unsere Gäste spannend und abwechslungsreich», zeigen sich Rohrer und Keller überzeugt.


Suche nach vergessenem Wissen

Apropos neue Gerichte: In Zeiten von Nachhaltigkeitstrends und innovativen Küchen mag «Nose to Tail» modern klingen. Dabei ist die Strategie eigentlich eine Rückbesinnung auf bewährte Werte: Früher konnte die Bevölkerung es sich oft nicht leisten, wählerisch zu sein. Tiere wurden entsprechend möglichst komplett verwertet – kein Wunder, findet man in alten Kochbüchern oft Rezepte mit Zutaten wie Innereien, Blut und Knochen. Industrialisierung, Massenproduktion und steigender Wohlstand haben die Konsumgewohnheiten danach verändert und die Fleischessenden wählerischer gemacht.

Beim Rind zum Beispiel werden so zunehmend nur die 15 Prozent Edelstücke goutiert – die «Nose to Tail»-Bewegung rückt hingegen auch die restlichen 85 Prozent des Tiers wieder in den Fokus. «Dadurch ergeben sich für uns viele spannende Möglichkeiten, Gerichte zu kreieren, die heutzutage in Vergessenheit geraten sind», berichten die beiden Küchenchefs. Den Mehraufwand beim Kochen sowie die Suche nach Rezepten und verlorengegangenem Wissen nähmen sie gerne in Kauf. Dafür können sie mit dem intensiven Geschmack ihrer Gerichte bei ihren Gästen «Emotionen und Kindheitserinnerungen hervorrufen, die sie noch von der Grossmutter her kennen».

 


Das Menü im «Darling» wechselt täglich.


Viele Vorteile für Gäste

Zugegeben: Geht es um den Verzehr von Innereien, Blut und Fett, gibt es auf Konsumentenseite gewisse Berührungsängste zu überwinden. Das «Nose to Tail»-Prinzip bietet dafür aber gewichtige Vorteile: Erstens sorgen Second Cuts & Co. für Vielseitigkeit auf dem Teller. Kulinarisch gibt es für die Gäste noch einiges zu entdecken, womit sich auch gleich das Spektrum an Nährstoffen bei der  Ernährung erweitert. Zweitens beweist man seine Wertschätzung dem Tier gegenüber, welches drittens notabene meist aus einheimischer Produktion stammt. Und nicht zuletzt sind zum Beispiel Schmorstücke, Siedfleisch oder Innereien deutlich günstiger – nicht zuletzt dieses Sparargument spricht für diesen modernen und doch so altbewährten Ansatz. Für Florin Rohrer und Till Keller jedenfalls ist «Nose to Tail» ein nachhaltiges Betriebsmodell, das mehr als einen Trend darstellt: «Wir sind der Überzeugung, dass es der einzig richtige Weg ist, alle unsere Lebensmittel ganzheitlich zu verwenden, der einzige Weg, wie Gastronomie nachhaltig funktionieren kann. Uns ist es ein Anliegen, diese Wertschätzung gegenüber diesen grossartigen Bio-Produkten mit unseren Gästen zu teilen.»

www.madeinbern.com
www.darling.restaurant

 


Till Keller (l.) und Florin Rohrer beim Einkauf in der «Boulotte».


Second Cuts

Wenn Fleischverarbeiter*innen von den Standardschnitten abweichen, spricht man von Special Cuts oder Second Cuts. Diese Spezialschnitte erhöhen die Möglichkeiten in den Küchen und damit die Wertschöpfung tierischer Produkte.

Nicht zuletzt dank cleverer Namensgebung werden diese Stücke auch bei den Konsument*innen immer bekannter. So wird der Nierenzapfen mittlerweile als «Hanging Tender» verkauft und der Schulterspitz erfreut sich als «Flat Iron Steak» zunehmender Beliebtheit.


Hier wird «Nose to Tail» buchstäblich gelebt.
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