Kategorie: Essen
Bitter, abgestanden und von gestern : Filterkaffee haben viele abgehakt. Dabei ist er der Liebling von Kaffee-Puristen – und gesünder, als andere Zubereitungsformen.
975 Tassen pro Kopf und Jahr: Die Schweiz ist ein Land der Kaffeetrinker. Am beliebtesten ist nach wie vor das Café Crème. Auch Espresso steht hoch im Kurs. Auf Filterkaffee hingegen lassen sich gerade einmal 14 Prozent der Konsumenten regelmässig ein. Das ist schade.
Filterkaffee haftet noch immer ein schlechtes Image an: Von früher kennt man ihn so dünn, dass die Blumenverzierung im Tasseninneren durchschien – daher die Bezeichnung «Blümchenkaffee». In Hotels oder bei Tagungen wurde er aus Thermoskannen nachgegossen, Note «extra abgestanden». Und köchelte er lange auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine vor sich hin, entwickelte er etwas Jaucheartiges. Überhaupt, bemängeln Experten, haben Generationen von schlechten Maschinen dazu beigetragen, den Ruf des gefilterten Kaffees vollends zu ruinieren.
Kaffee für den Connaisseur
Höchste Zeit, schlechte Erinnerungen zu tilgen. Filterkaffee kann nämlich richtig gut sein, wenn die Voraussetzungen stimmen. Zuerst braucht es Kaffeebohnen von 1-A Qualität – und Fachleute, die damit umzugehen wissen. «Das Verbrennen von Bohnen ist out, hellere Röstungen sind in», weiss die Barista und Buchautorin Johanna Wechselberger. Nur so kämen die spezifischen Aromen der jeweiligen Bohnensorten zur Geltung – ohne bitteren Beigeschmack. Wechselbergers Rat lautet deshalb: «Kaufen Sie Kaffee vom Röster Ihres Vertrauens.» Am besten bei einem kleinen Anbieter, der direkt mit den Farmern handelt und Wert legt auf hochwertigen Terroir-Kaffee. So erfahren Konsumenten, welche Sorten sie kaufen, in welcher Erde diese gewachsen sind und wie die Bohnen verarbeitet wurden. Umso besser, wenn dies biologisch und sozialbewusst geschieht.
Darüber hinaus kommt es auf die Zubereitung an (siehe Seite 22). Kenner machen es heute gerne so, wie es vor mehr als hundert Jahren die deutsche Kaffeefilter-Erfinderin Melitta Bentz und nach ihr zahlreiche Hausfrauen im In- und Ausland taten: Sie überbrühen das Bohnenpulver von Hand und nehmen dafür einen Filter aus Papier. Melitta Bentz hatte anfangs mit dem Löschpapier aus den Schulheften ihrer Söhne experimentiert. 1908 liess sie ihre Erfindung patentieren.
Von Bitterkeit keine Spur
Wer heute Filterkaffee von Hand zubereitet, liebt es allerdings hip und stylish. «Pour-over» heisst die Prozedur. Junge Baristi schenken frisch Gefiltertes in schicken Cafés einer konsumbewussten Klientel ein (siehe Links auf Seite 22). Oder messen sich bei Meisterschaften im perfektionierten Aufbrühen, das einer Wissenschaft gleicht. Die formschönen Utensilien sehen aus wie aus dem Designerladen, etwa der japanische Filterhalter «Hario V 60» oder die berühmte Chemex-Glaskaraffe mit Holzmanschette.
Zu Hause lässt sich freilich auch der gute alte Porzellan-Filterhalter aktivieren, der vielleicht seit Jahren ungenutzt im Küchenfundus lagert. Oder man wird im Brockenhaus fündig. «Für die Zubereitung ist kein aufwendiges Equipment nötig und die Brühung von Hand ist schnell gelernt», schreibt Benjamin Hohlmann, Betreiber einer Kaffeeschule in Münchenstein (BL) und bekennender Filterkaffee-Fan, in seinem Blog. Er trinkt ihn am liebsten pur, ohne Rahm, Milch und Zucker. «So lässt sich den überraschenden Aromen am besten nachspüren.» Diese können an Pfeffer, Tabak oder Kokosnuss erinnern, aber auch fruchtig und blumig sein. Ein bisschen wie Pfirsich, Limette oder Lavendel und von Bitterkeit keine Spur. Im Gegenteil: Gemäss einer Studie der Chalmers Universität of Technology und der Umeå Universität, beide in Schweden, habe Filterkaffee, und nur dieser, die Eigenschaft, das Risiko von Diabetes Typ 2 zu senken. Dabei sei es aber wichtig, das Kaffeepulver nicht mit kochendem, sondern lediglich mit heissem Wasser zu übergiessen.
Gefragt sind also Geduld und Aufmerksamkeit. Allein das sorgsame Aufbrühen benötigt bis zu drei Minuten Zeit. Eine Umstellung für jemanden, der den fixen Konsum aus der Kapselmaschine gewöhnt ist. Dafür tut sich eine neue (oder wiederentdeckte) Art des Geniessens auf – und das erst noch ohne Kunststoff- oder Alu-Abfall. //
â— Links
Filterkaffee zum Testen und Kaffeekurse:
www.cafe-fruehling.ch
www.cafe-henrici.ch
www.blasercafe.ch
www.roesterei.be
www.bruehnett.ch
Filterkaffee von Hand aufbrühen – so gelingts
Für Filterkaffee sind hell geröstete Bohnen geeignet.
Weil die Aromen von Kaffeepulver schnell verduften, ganze Bohnen kaufen und sie erst kurz vor dem Zubereiten mahlen.
Das Kaffeepulver sollte nicht zu fein sein; etwa so wie gröberer Kristallzucker.
Es lohnt sich, in ein gutes Mahlwerk zu investieren. Handmühlen oder elektrische Exemplare sollten keine Schlagmesser haben. Diese produzieren Feinstaub, der den Kaffee bitter macht. Zudem ist das Mahlgut nicht gleichmässig genug und sehr grobe Partikel geben kaum Aromastoffe ans Wasser ab.
Filterpapier in den Filterhalter einlegen und mit heissem Wasser ausspülen. Das ist wichtig, damit der Eigengeschmack des Papiers sich verflüchtigt.
Nun das Kaffeepulver in den Filter geben. Für zwei Tassen nimmt man etwa 18 Gramm Bohnen.
Das Wasser nicht zu heiss überbrühen: sprudelnd aufkochen und etwa eine Minute abkühlen lassen. Mit rund 95 Grad hat es die optimale Temperatur.
Das Kaffeepulver zunächst mit wenig Wasser benetzen und es etwa eine halbe Minute quellen lassen – «blooming» nennen Experten diesen Vorgang, der wichtig ist, damit sich das Aroma entwickelt. Dann mit dem eigentlichen Aufbrühen beginnen – spiralförmig von innen nach aussen.
Profis verwenden für das Aufgiessen spezielle Metallkannen mit einem langen, dünnen Ausgiesser, Schwanenhals genannt. Die Wassermenge lässt sich so optimal dosieren.
Buchtipp
Johanna Wechselberger
«Filterkaffee. Der neue Kaffeetrend», Braumüller Verlag 2013,
ca. Fr. 20.–
Fotos: unsplash.com | zvg | unsplash.com /eiliv sonas aceron