Anderswelt: Der Geist in der Maschine

«Komm, bitte, bitte, lass mich nicht im Stich», flehte ich – und es half. Nach anfänglichem Gestottere startete mein Auto an diesem Morgen doch noch. Und wissen Sie was? Ich sagte brav auch noch «danke» und tätschelte dazu liebevoll das Lenkrad. Ist es nicht seltsam, wie wir Menschen, die wir uns gerne an Fakten und evidenzbasiertes Wissen halten, immer wieder mit zusammengeschraubten Dingen reden als hätten sie eine Persönlichkeit, Gefühle und je nach dem auch noch einen Willen?

 

Der Grund dafür liegt in unserer Natur. Unser Verstand mag sich an Physik, Chemie oder Mathematik halten, aber im Kern unseres Wesens sind wir zutiefst gläubig, genauer gesagt geistergläubig – und deshalb reden wir nicht nur mit Tieren, Pflanzen, Geistern und Göttern, sondern auch mit Maschinen. Dreihundert Jahre Aufklärung haben daran nichts geändert.

Jahrhunderttausende lang war für unsere Vorfahren immer klar, dass nicht nur Menschen Absichten hegen, Launen, Gefühle und Bedürfnisse haben, sondern auch Tiere, Pflanzen und sogar natürliche Objekte wie Berge, Flüsse, Wetterphänomene und selbstverständlich auch die Sterne. Für unsere Ahnen war die ganze Welt beseelt und somit auch voller Geister, die sich im Guten wie im Schlechten in ihr Leben einmischen konnten. War die Jagd erfolgreich, waren dem Stamm die Geister gewogen, grollte der Donner, musste sie irgend etwas verärgert haben. Klug wie Menschen nun mal sind, entwickelten wir deshalb Rituale, um uns die Gunst der Geistwesen zu sichern oder sie zu besänftigen, wenn sie gerade mal wieder in schlechter Stimmung waren. Das ist unser animistisch-schamanisches Erbe, das sich in verschiedensten Ausprägungen in jeder der grossen und kleinen Weltreligionen wiederfindet, selbst dort, wo aus Geistern Engel und Teufel gemacht wurden.

Kürzlich besichtigte ich die barocke Klosterkirche von St. Urban. In einer Nische auf einem kleinen Tischlein entdeckte ich dort das Fürbittbuch, blätterte darin und las, was auf dutzenden von Seiten in unterschiedlichsten Handschriften geschrieben stand. Neben Maria und Jesus werden dort unzählige Heilige angerufen, mit Bitten wie die kranke Partnerin wieder gesund werden zu lassen, den eigenen Kindern bei einer Prüfung beizustehen oder das Haus vor Unglück zu beschützen. Es war auch viel Erleichterung darin zu lesen, zum Beispiel dafür, dass man einen guten Job gefunden hat oder die Tochter endlich einen guten Ehemann.

Mich haben der Glaube,die Hoffnung und die Dankbarkeit, die aus jeder dieser Fürbitten sprach, sehr berührt. Es sind viele, die sich in schwierigen Lebenslagen den Beistand, den Schutz und die Gnade höherer Mächte erhoffen oder darauf vertrauen, egal ob sie Christen, Muslime, Buddhisten, Hinduisten, Indigene oder Konfessionslose sind. Falls Sie übrigens zu jenen Menschen gehören, die Geisterglaube für altmodischen Quatsch halten – fragen Sie sich einmal, warum auch Sie auf dem Friedhof Gespräche mit Toten führen.

Dass wir mit unsichtbaren Wesen reden, an Götter glauben und sie mit unterschiedlichsten Ritualen um Hilfe bitten, macht uns seit jeher zu Menschen, egal, wo und wie wir leben. Und aktuell wäre es an der Zeit, gemeinsam und über alle Grenzen hinweg alle Geister dieser Welt um Frieden zu bitten.

 

Markus Kellenberger ist Autor und Journalist. In der Kolumne «Anderswelt» betrachtet er Alltägliches – nicht nur – aus schamanischer Sicht, und an seinen «Feuerabenden» im Tipi begleitet er Menschen auf der Reise ins Innere. markuskellenberger.ch

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