Anderswelt: Das Glück, es einfach zu thun
Wissen Sie was? Wir lassen die Krisen heute einfach Krisen sein, kein Wort über Klima, Kriege, Wohnungsknappheit oder andere Alarmmeldungen aus jeder noch so fernen Ecke der Welt, denn es ist Mai.
Schauen wir uns das Schöne an, das die Welt zu bieten hat. Es gibt es in Hülle und Fülle, ungeschminkt, ungekünstelt und ohne uns etwas verkaufen zu wollen. Es ist das blühende Leben. Es findet um uns herum und in uns drin statt, wir müssen es nur zulassen.
Komm, lieber Mai, und mache
die Bäume wieder grün,
Irgendwann im Mai stehen die Wälder in frischem Grün und die Fuchsjungen sind gross genug, um vor ihrem Bau zu spielen. Seit ich bei meinen Streifzügen durch den Wald ihre Höhle entdeckt habe, mache ich einen Bogen darum, denn ich weiss: Die Fähe will mich nicht in ihrer Nähe haben. Ich respektiere das und freue mich darauf, das lustige Balgen, Raufen, Jagen und Tollen der Welpen bald durch den Feldstecher beobachten zu können. Füchse sind ein bisschen wie wir. Väter und Mütter kümmern sich gemeinsam um die Kleinen, die einen bleiben ein Fuchsleben lang als Paar zusammen, andere trennen sich und gründen neue Familien. Das ist das blühende Leben, das es in so vielfältiger Form und Weise gibt.
und lass mir an dem Bache
die kleinen Veilchen blüh’n!
«Was ist Glück», fragte ein Mensch, der mit uns um ein Maienfeuer sass, und recht schnell waren wir uns darin einig, dass es dafür keine abschliessende Antwort, sondern unzählige gibt. Soll Glück ewig währen wie im Paradies oder immer nur einen Augenblick lang wie im echten Leben? Wir fanden Argumente dafür und dagegen, und es war ein spannender Austausch bekannter und auch überraschend neuer An- und Einsichten. Jede, jeder und jedes kam zu Wort und wurde gehört, und so sassen wir irgendwann still um die rot leuchtende Glut des heruntergebrannten Feuers und fühlten uns glücklich. Das ist das blühende Leben, es wächst aus dem vertrauensvollen Miteinander.
Wie möcht’ ich doch so gerne
ein Veilchen wieder seh’n!
Der Mai ist der Wonnemonat, die Zeit der überschäumenden Liebe. In der Nacht auf den 1. Mai feiern die Menschen Walpurgisnacht oder Beltane, wie die Kelten dieses Fest nannten. Den ganzen Monat hindurch wurde früher Fruchtbarkeitsmagie im Namen von Göttinen wie Maj, Flora und Freya und von Göttern wie Baal oder Baldur ausgeübt. Ausgelassen wurde dabei um bemalte und geschmückte Baumstämme herum getanzt, gelacht und geliebt. Dass die Kirche schon vor über tausend Jahren so unverschämt fröhliches Treiben verteufelte, hat nur wenig daran geändert, denn noch immer stellen die Menschen Maibäume auf – aus Liebe und aus purer Lust. So ist es, das blühende Leben, nichts hat die Kraft, es zu verbieten, es findet immer einen Weg.
Ach, lieber Mai, wie gerne
einmal spazieren geh’n!
Ja, einfach spontan die Schuhe binden und in den Mai hinaus spazieren und dabei unsere Sinne für all das Schöne öffnen, das in der Welt ist. Mit jedem Schritt und mit jedem Atemzug das grosse und das kleine Glück in seiner ganzen Vielfalt spüren und uns dabei mit dem kraftvollen Leben um uns herum verbunden fühlen – ist das, was uns daran hindert, wirklich so wichtig?
Wir sind das blühende Leben. Wir müssen es nur zulassen – und ihm vertrauen.
Markus Kellenberger ist Autor und Journalist. In der Kolumne «Anderswelt» betrachtet er Alltägliches – nicht nur – aus schamanischer Sicht, und an seinen «Feuerabenden» im Tipi begleitet er Menschen auf der Reise ins Innere. markuskellenberger.ch