Sabine über die Kraft des Atmens...

Kategorie: Sabine Hurni


Odem/ Bewusstes Atmen die beste Stressprophylaxe.


Rund 12 bis 18 Mal pro Minute holt ein erwachsener Mensch Luft; Kinder und Babys rund 50 Mal. Pro Atemzug atmen wir einen halben Liter Luft ein und aus. Das sind 6 bis 9 Liter pro Minute oder rund 10 000 Liter Luft pro Tag. Beim Einatmen füllt sich die Lunge, die Bauchdecke wölbt sich wie ein Blasebalg und wir spüren den Atem bis ins Becken. Beim Ausatmen senkt sich die Bauchdecke, der Brustkorb leert sich und die Luft strömt aus dem Menschen heraus. Wenn wir nicht beim Treppensteigen ins Keuchen geraten oder zu Beginn der Yoga-stunde einige Atemübungen machen, ist der Atem eine selbstverständliche Tatsache, die oft unbemerkt bleibt. Eigentlich schade. Denn dieses farb- und geruchlose «Nichts» ist gleichzeitig alles: unsere grundlegende Verbindung zum Leben, zur Spiritualität und zur Gegenwart.

 

Der Atem lässt sich im Winter besonders gut beobachten: Der Hauch der Atemluft zeigt sich als Nebel vor dem Gesicht, sobald wir aus dem Haus treten. Das geschieht aus zwei Gründen: Zum einen weil sich die eingeatmete Luft in den Lungen auf Körpertemperatur aufwärmt; zum anderen weil sie sich dort mit gasförmigem Wasser anreichert. Atmen wir in der frostigen Umgebung aus, kühlt die mit Wasser angereicherte Luft ab und kondensiert je nach Luftfeuchtigkeit mehr oder weniger stark. Ab minus zehn Grad sind die kleinen Nebelschwaden vor dem Gesicht garantiert vorhanden, weil die Atemluft aufgrund des grossen Temperaturunterschiedes sehr schnell kondensiert.

Jeder Mensch atmet anders. Ausserdem spiegelt der Atem oft auch die Lebenssituation, in der sich jemand gerade befindet. Bereits kleine Spannungs- unterschiede im Körper verändern die Atmung enorm: Muskelspannungen, ausgelöst durch Angst, Aufregung oder körperliche Krankheiten, führen zu einem engeren Atemraum; Panik und Schock können gar eine Hyperventilation auslösen und zur Verkrampfung der Atmung führen. Bei Stress und Ärger werden Puls und Atmung schneller, was ebenfalls zu einer Anspannung der Atemmuskulatur führt. In Schockzuständen hingegen setzt der Atem oft aus oder er wird zumindest ungewöhnlich lange angehalten – der Atem stockt. Sind wir hingegen ruhig und friedlich, ist der Atem tief und die Muskulatur entspannt.

 

Wir können uns sogar gesund atmen. Denn genauso wie Spannung die Atmung beeinflusst, können wir auch umgekehrt die Atmung nutzen, um Spannungen abzubauen. Das Prinzip ist einfach: Schnelles Atmen erhöht den Herzschlag, langsames Atmen vermindert ihn. Atmen wir in Ruhe über die Nase ein, strömt die Luft mit einem gewissen Widerstand in den Körper. Das verlangsamt und verlängert die Ein-atmung und regt die Zwerchfellatmung an. Die Luft verweilt länger in den Lungen, wodurch die Durchblutung und die Belüftung der Lunge und des Herzens verbessert und die Gehirndurchblutung erhöht werden.

Das Einatmen über den Mund führt hingegen zu Verspannungen im Brustbereich und ist besonders im Winter nicht ideal, weil beim Einatmen durch den Mund viel kalte Luft ungefiltert in die unteren Atemwege der Lunge gelangen. Um Erkältungen vorzubeugen, empfiehlt es sich deshalb, bei kalten Temperaturen durch die Nase einzuatmen. Die oberen Atemwege der Nase wärmen, reinigen und befeuchten die kalte Luft. Je kälter die Luft ist, desto stärker werden die Schleimhäute durchblutet, wodurch die Luft erwärmt wird. Bis sie in den Lungen ist, hat die durch die Nase eingeatmete Luft Körpertemperatur erreicht.

Auch das Ausatmen erfolgt idealerweise durch die Nase. Bei Angst oder Stresssituationen kann es hingegen helfen, gegen den Widerstand der leicht geschlossenen Lippen auszuatmen und die Luft langsam und so lange ausströmen zu lassen, bis das Einatmen reflexartig von selbst wieder erfolgt. Dabei ist wichtig, den kurzen Moment der Stille wahrzunehmen, der entsteht, wenn das Ausatmen beendet ist und das Einatmen noch nicht begonnen hat. Nach einiger Zeit des Aus- und Einatmens entspannt sich der Körper. Die Spannung baut sich noch besser ab, wenn das Ausatmen etwas länger dauert als das Einatmen. Ausatmen ist generell wichtig in Situationen, die negativ belastet sind, etwa bei Vorwürfen oder Streitereien. Hier schafft das Ausatmen eine gesunde Distanz zur Situation.

 

Sobald wir den Atem nutzen, um im Körper eine bestimmte Wirkung zu erzielen, beginnt der Wechsel von der natürlichen Atmung hin zur bewussten Atmung, die in vielen Meditationspraktiken angewendet wird. Der Grund: Wir können nicht gleichzeitig denken und bewusst atmen. Wenn wir bewusst atmen, ruht der Geist auf dem Vorgang des Ein- und Ausatmens. Deshalb macht das bewusste Atmen den Geist ruhiger und wir schaffen es so zuweilen gar, den Gedankenfluss für eine Weile zu unterbrechen. Der Moment des Atembeobachtens beziehungsweise des Nicht-Denkens hält bei Ungeübten oft nur einige Sekunden an; dann schwirrt schon der nächste Gedanke durch den Kopf. Das ist vollkommen normal. Beobachten wir aber unseren Atem, kann man sich selber immer wieder rasch ins Hier und Jetzt zurückholen.

In manchen Traditionen repräsentiert das Ein-atmen die Zukunft, während das Ausatmen für die Vergangenheit steht. Dazwischen ist die Stille. Das Nichts. Absolute Ruhe und Gegenwärtigkeit. Das Jetzt. Auch das bewusste Verlangsamen oder Anhalten der Atmung wird in vielen Meditationslehren praktiziert, um tiefe geistige Stille zu erreichen. In einer alten Sufi-Weisheit heisst es: «Wenn es uns gelingt, Atem und Bewusstsein zu verbinden, sind wir mit der Lebensenergie verbunden. Der Atem ist der Atem der Gnade Gottes, und dieser Atem ist es, der die Seele zum Leben erweckt. Solange die Seele nicht von Bewusstsein belebt ist, gleicht sie dem Vogel, der noch nicht flügge ist.» //


Buchtipps


Richard Brennan «Besser atmen», riva 2017, ca. Fr. 25.–

Ursula Eder, Franz J. Sperlich «Das Parasympathikus Prinzip. Wie wir mit wenigen Atemzügen unseren inneren Arzt fit machen», GU 2019, ca. Fr. 29.–














Sabine Hurni ist dipl. Drogistin HF und Naturheil-prak-tikerin, betreibt eine eigene Gesundheitspraxis, schreibt als freie Autorin für «natürlich», gibt Lu-Jong-Kurse und setzt sich kritisch mit Alltagsthemen, Schulmedizin, Pharma-industrie und Functional Food auseinander.

Fotos: sebastiano bucca | unsplash.com/nine kopfer

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