Sabine Hurni über das Teekraut im eigenen Garten
Fische sind sich des Wassers, in dem sie schwimmen, nicht bewusst. Was für die Fische das Wasser, ist für uns Menschen die Vegetation. Wir bewegen uns durch die Pflanzenwelt, die uns am Leben hält, sind uns ihrer jedoch oft nicht bewusst.» Diesen Satz las ich kürzlich in einem der Pflanzenbücher von Wolf Dieter Storl. Seither geht er mir nicht mehr aus dem Kopf.

Im Gegensatz zu den Fischen sind wir Menschen in der Lage, die Kräuter, Bäume und Gräser intellektuell wie auch intuitiv zu erfassen. Spazieren wir durch den Wald, gehen wir nicht einfach zwischen Baumstämmen hindurch. Wir bewegen uns vielmehr durch ein feines, unsichtbares Netz von Energiefäden, die uns durchdringen und regenerieren.
Aus dieser Pflanzenwelt entspringen sämtliche Kräuter, die sich uns als Heilmittel anbieten. Oft finden sie sogar zwischen den Ritzen von Garten- oder Terrassenplatten einen Weg zur Sonne oder wachsen als Unkraut in der hintersten Ecke des Gartens. Die meisten Leute können zwar einige dieser Heilkräuter mit Namen benennen, verwendet werden sie jedoch nicht. Viel zu selten nutzen wir die Unkräuter, Heilkräuter und Aromapflanzen als Teekraut für und gegen allerlei Zipperlein, die uns hin und wieder heimsuchen. Das ist schade, denn ein Tee ist ein weit milderes und energetischeres Heilmittel als eine Tinktur oder ein standardisiertes Pflanzenpräparat. Gerade diese subtile Ebene kann für manche Menschen den Weg in Richtung Heilung ebnen.
Der Medizinaltee mit Wirkung
Wer ein bestimmtes gesundheitliches Problem angehen möchte, benötigt ein Basiswissen über die Heilwirkung von Pflanzen, um sich eine passende Teemischung zusammenzustellen oder eine geeignete Einzelpflanze zu wählen. Bei Husten zum Beispiel muss man sich entscheiden, ob die Mischung den Schleim lösen oder eher den Hustenreiz beruhigen soll. Da es Pflanzen gibt, die mehr für das eine und andere Pflanzen, die mehr für das andere zuständig sind, macht das Zusammenmischen von Pflanzen mit gegenteiliger Wirkung keinen Sinn. Ansonsten kann man nicht viel falsch machen. Teepflanzen sind eine kostengünstige, natürliche und jederzeit verfügbare Hilfe zur Selbsthilfe, die man bei den ersten Anzeichen einer Erkrankung einsetzen kann. Wer sich für das Thema interessiert, kauft sich am besten ein gutes Buch und beginnt sich zu vertiefen. Allenfalls kann auch ein Grundlagenkurs in Pflanzenheilkunde spannend sein.
Ein Genusstee kann gut im grossen Teekrug zubereitet werden. Ein Medizinaltee hingegen erfordert einen bewussteren Umgang. Er muss immer frisch zubereitet und heiss, warm oder lauwarm getrunken werden, weil sich viele der enthaltenen Wirk- und Aromastoffe mit der Zeit abbauen oder sich verflüchtigen. Trinkt man einen Kräutertee zu Heilzwecken, lässt man ihn immer zugedeckt, rund 10 Minuten ziehen. Auf diese Weise bleiben die Aromastoffe in der Tasse und es gehen genügend heilsame Pflanzenstoffe ins Wasser über. Tees aus Wurzeln, Rinden oder zähen Stängeln, zum Beispiel Schachtelhalm, bereitet man als Kaltwasserauszug zu, indem man das Pflanzenmaterial acht Stunden im Wasser ziehen lässt. Dann absieben, leicht wärmen und trinken.
Tee bewusst trinken
Überlegen Sie sich bei jeder Teezubereitung, was die Intention ist. Was soll der Tee bewirken? Soll er wärmen, die Verdauung anregen, dem Körper basische Mineralstoffe zuführen, den Stoffwechsel anregen, das Immunsystem aktivieren oder entwässern? Testen Sie die Kräuter, die rund um Ihr Zuhause wachsen als Einzeltee. Sie sind oft bis in den frühen Winter hinein verfügbar, oder spriessen gar das ganze Jahr hindurch. Steht mir der Sinn nach Brennnesseln? Oder soll es heute ein Löwenzahntag werden? Benötige ich die scharfe Würzigkeit von Basilikum oder die antivirale Wirkung der Zitronenmelisse?
Neben der frischen Zubereitung ist es beim Gebrauch von Medizinaltee auch wichtig, dass man sich die Zeit nimmt, ihn mit der nötigen Würde, Verbundenheit und Achtsamkeit zu trinken. Das heisst, ein Tee wirkt bedeutend besser, wenn man sich in Ruhe hinsetzt und dieses heilsame Getränk mit möglichst grosser Wertschätzung trinkt, den Geschmack wahrnimmt, den Duft, den Dampf und sich sagt: «Ich nehme mir diesen Moment für mein Gesundwerden und dieses Pflanzenwesen hilft mir dabei.» Die Pflanze ist gewachsen, um genau jetzt ihre Dienste anzubieten.
Je mehr wir uns die philosophische Sichtweise verinnerlichen, dass wir wie Fische in der Pflanzenwelt schwimmen, die uns Nahrungsmittel, Heilmittel und Sauerstoff zum Atmen schenkt, desto mehr können wir uns wieder als Teil dieser grossen Schöpfung wahrnehmen. Mit der Hilfe von Teekräutern können wir an unser tief verborgenes Wissen anknüpfen, das wir alle in uns tragen. Wir sind fähig, die Energie eines anderen Menschen in Sekundenschnelle zu erfassen. Ich bin mehr und mehr der Überzeugung, dass wir diese Begabung vermehrt auch auf die Pflanzenwelt ausweiten sollten. Sie schenkt uns alles, was wir zum Leben brauchen – ist das nicht viel zu wichtig, um achtlos an den Gewächsen dieser Erde vorüberzuziehen?
Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.