Sabine Hurni über Akzeptanz
Es ist, wie es ist. Immer wieder müssen wir das Beste aus einer Situation machen und die Realität akzeptieren. Was passiert ist, ist passiert. Nichts kann die Vergangenheit ungeschehen lassen. Das gilt für Sätze, die wir besser nie ausgesprochen hätten, Niederlagen, Kündigungen, Unfälle und viele weitere Lebenssituationen. Oft müssen wir akzeptieren, dass Dinge anders kommen, als wir es uns gewünscht hätten. Selbst wenn wir grösste Widerstände gegen die unausweichliche Realität hegen.
Beim Heiraten müssen wir sagen: «Ja, ich will.» Der oder die Standesbeamtin würde wohl intervenieren, wenn jemand sagen würde: «Ich akzeptiere.» Akzeptieren müssen alle anderen. Die Eltern, die sich einen idealeren Schwiegersohn oder eine perfektere Schwiegertochter gewünscht hätten. Die Heiratswilligen hingegen dürfen ja sagen zu etwas, das sie sich von Herzen wünschen. Bei Dingen, die es zu akzeptieren gilt, ist das anders. Es sind nicht Situationen, die wir selbst gewählt haben, die wir unbedingt wollen oder uns sehnlichst wünschen. Akzeptieren muss man Dinge, die sich nicht ändern lassen. Ganz im Sinne des Gelassenheitsgebetes eines amerikanischen Theologen: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Zuerst der Kampf, dann die Akzeptanz
Das Akzeptieren ist eine sehr reife Handlung. Kinder können noch nicht souverän mit Niederlagen oder Enttäuschungen umgehen. Manche legen sich im Warenhaus auf den Boden und toben, weil sie nicht akzeptieren können, dass sie das Objekt der Begierde nicht erhalten. Irgendwann lernen sie zu akzeptieren, dass das Leben nicht immer nach dem eigenen Geschmack verläuft. Erwachsene lassen ihren Emotionen in Zeiten der Niederlage, der Verluste oder der unausweichlichen Veränderungen nicht mehr freien Lauf wie die Kinder. Wir haben gelernt, uns zu beherrschen. Doch innerlich tobt der kindliche Aspekt in uns noch immer mit Fäusten, Schreien und Umsichschlagen, wenn die Enttäuschung gross ist.
Der innerliche Tobsuchtsanfall nützt uns aber nichts, wenn es darum geht, die Realität zu akzeptieren. Unser Verstand ist in der Lage, nach und nach ein Umdenken zu kreieren und das Denken in neue Bahnen zu lenken. Das braucht Zeit, besonders dann, wenn ein Schicksalsschlag das ganze Leben über den Haufen wirft oder wenn unser Wertsystem umprogrammiert werden muss. Das Akzeptierenlernen gleicht einer Gehirnwäsche, bei der alte Denkmuster neue Wege finden müssen. Dieser Prozess gelingt nicht von heute auf morgen. Es ist vielmehr das Resultat einer Geistesschulung, bei der man sich immer wieder sagen muss: «Was passiert ist, ist passiert. Ich akzeptiere diese neue Realität». Das gilt für Schicksalsschläge genauso wie für Banalitäten wie zum Beispiel eine verpasste Zugverbindung.
Akzeptanz ist Stärke
Am Anfang einer Situation, auf welche die Akzeptanz folgt, steht immer der Kampf mit sich selbst oder anderen. Nach einem Unfall oder bei einer Krankheit steht zuerst die innere Debatte im Zentrum. Warum? Warum ich? Warum jetzt? Da ist Wut, Groll, Enttäuschung und Trauer. Das ist normal. Das Hadern mit dem Schicksal ist allerdings eine Auseinandersetzung, die wir Menschen nur verlieren. Wir können uns fokussiert dafür einsetzen, eine Situation zu verändern. Doch bevor wir das machen können, müssen wir die Situation akzeptieren. Erst wenn wir sagen können: «Gut, es ist wie es ist» haben wir die nötige Ruhe, weise Entscheidungen zu treffen.
Akzeptanz hat nichts mit passiver Toleranz oder Resignation zu tun. Akzeptanz ist Mut zur Veränderung. Das ist keine Schwäche und kein Aufgeben, sondern der Moment, wo man den Tatsachen mutig ins Auge blickt. Es braucht innere Stärke, um Widrigkeiten als neue Realität anzunehmen. Es bedeutet, dass man Verantwortung übernimmt und die Veränderungen anerkennt. In diesem Prozess geht es darum zu erkennen, WAS es zu akzeptieren gilt. Dass ein Konzert ausgebucht ist, dass ein Produkt nicht mehr hergestellt wird, dass der Kaffee über der Computertastatur ausgeschüttet ist – um bei den alltäglichen Dingen zu bleiben. Im zweiten Schritt gilt es zu erkennen, wer akzeptieren soll. Ich muss akzeptieren, dass sich jemand entgegen meiner Logik, anders verhält, als ich für richtig halte. Das Gegenüber muss jedoch genauso akzeptieren, dass unterschiedliche Meinungen im Raum stehen.
Es gibt keine absolute Wahrheit, die für alle Gültigkeit hat. Eine Ausganglage kann sich von einem Moment auf den anderen ändern. Wir kommen nicht darum herum, zu akzeptieren, dass Veränderungen unser Leben bestimmen, dass vieles ausserhalb unserer Kontrolle liegt und wir uns immer wieder mit einer neuen Realität einverstanden erklären müssen. Wenn wir im Kleinen lernen, die Dinge zu akzeptieren, fällt es vermutlich auch im Grossen leichter. Begleitet von einer grossen Portion Mut, innerer Stärke und Verantwortungsgefühl.