Hand in Hand ambulant

Die Ambulantisierung gilt als einer der Megatrends in der Gesundheits versorgung. Die letzten Herbst vom Volk angenommene EFAS-Vorlage dürfte diesen Trend noch beschleunigen. Die ganzheitliche Medizin könnte hier eine zentrale Rolle spielen.

Fabrice Müller


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mbulant statt stationär: Dieser bereits vorhandene Trend wurde durch die Annahme der Vorlage «Einheitlichen Finanzierung von Ambulant und Stationär» (EFAS) am 24. November des vergangenen Jahres noch verstärkt. Aber was bedeutet das in der Praxis? Das Projekt «Hospital at Home» ermöglicht es Patientinnen und Patienten, die an bestimmten akuten Krankheiten leiden, in ihrem eigenen Zuhause anstatt in einem Spital behandelt zu werden. Als erster Kanton der Schweiz ermöglicht der Kanton Baselland für das Projekt «Hospital at Home» eine Finanzierung, die es der Klinik Arlesheim ermöglicht, die notwendige Infrastruktur aufzubauen und speziell geschultes medizinisches Personal einzustellen. International wird diese Idee bereits erfolgreich umgesetzt. «Dieses wegweisende Konzept zur häuslichen akutmedizinischen Versorgung hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir ein Spital denken, grundlegend zu verändern», ist Lukas Schöb, ärztlicher Leiter der Klinik Arlesheim und Präsident des Vereins integrative-kliniken.ch. «Ein Spital ist ein Know-how-Center mit top-ausgebildeten Menschen. Sie sind wesentlich für die Versorgung, nicht das Gebäude an sich.»


20 Prozent ambulant

Die Annahme der EFAS-Vorlage könnte also wie oben erwähnt die Ambulantisierung durch neue Anreize beschleunigen. Dadurch erhofft sich die Gesundheitspolitik beträchtliche Einsparungen. Bisher hatten die Versicherer kein Interesse, den ambulanten, zu hundert Prozent prämienfinanzierten Anteil zu fördern. Künftig sollen mehr ambulante anstelle von stationären Behandlungen durchgeführt werden. Zum Vergleich: In der Schweiz wurden 2021 laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) knapp 20 Prozent der Eingriffe ambulant durchgeführt; in Deutschland und Österreich lag dieser Anteil bei rund 30 Prozent, in Italien bei rund 40, in Frankreich und weiteren Ländern wie Dänemark oder Schweden bei über 50 Prozent. Mit der einheitlichen Finanzierung soll die koordinierte Versorgung für alle Beteiligten attraktiver werden.


Spitalversorgung zuhause

Zum ambulanten Bereich des Gesundheitssystems gehören neben entsprechenden Angeboten in Spitälern auch ärztliche, physio-, ergotherapeutische und weitere Leistungen in Praxen sowie Gesundheitsdienstleistungen, die am Wohnort einer Person erbracht werden. Manchmal begünstigen auch externe Faktoren die Förderung solcher ambulanten Lösungen, beobachtet zum Beispiel im Laufental: Der Kanton unterstützt in dieser Region «Hospital at Home Laufen» und stärkt damit die Gesundheitsversorgung im Laufental. In einem Pilotprojekt unterstützt der Kanton die Leistung «Hospital at Home» durch das Gesundheitszentrum des Kantonsspital Baselland (KSBL) in Laufen. Falls medizinisch indiziert, haben Patientinnen und Patienten aus dem Laufental die Wahl, statt im Spital durch das medizinische Fachpersonal des KSBL zuhause behandelt zu werden.


Kürzere Hospitalisierung

Die Ambulantisierung gilt als Megatrend im Gesundheitswesen. Für Lukas Schöb, Vertreter der integrativen Kliniken, ist die Förderung von ambulanten Behandlungen anstelle stationärer Angebote einer von mehreren Wegen aus der aktuellen Krise im Gesundheitssystem: «Durch den Röhrenblick auf die Kosten laufen wir Gefahr, das Gesundheitssystem an die Wand zu fahren. Weil in der Schweiz tatsächlich die Prämien hoch sind, besteht der Eindruck, dass das gesamte System teuer ist, was nachweislich nicht stimmt. Die Gesamtkosten des bisher noch sehr guten Systems sind gleich oder leicht geringer als z. B. in Deutschland, England oder Frankreich (gemessen am BIP).»

Durch die Idee der «Hospital at Home»-Versorgung bekommt das System nun eine Chance Brücken zu bauen zwischen ambulant und stationär, wo bisher eher Gräben herrschten. Hier komme die integrative Medizin ins Spiel – denn: «Die Nähe zur Patientin bzw. zum Patienten liegt in der DNA der integrativen Medizin», betont Lukas Schöb und verweist auf die Klinik Arlesheim oder das Spital Zollikerberg.


Pilotprojekt «Visit»

Letzteres behandelt seit November 2021 als erstes Spital in der Schweiz im Rahmen des Pilotprojekts «Visit – Spital Zollikerberg Zuhause®» akut medizinisch erkrankte Personen in ihren eigenen vier Wänden. Dadurch können Patientinnen und Patienten, die eigentlich im Spital behandelt werden müssten, zuhause betreut werden. Die Dauer der Hospitalisation im «Visit» zeigte sich im Vergleich zum herkömmlichen Spitalaufenthalt kürzer: Im «Visit» behandelte Personen verbrachten bei gleicher Hauptdiagnose rund eine Nacht weniger in Behandlung.

So betrug die Hospitalisation zuhause durchschnittlich 4,89 Tage, im Gegensatz zur Vergleichsgruppe, deren stationärer Aufenthalt durchschnittlich 5,53 Tage im Spital andauerte. Positive Ergebnisse zeigten sich auch bei den Rehospitalisationen: «Visit» führte mit nur 2,77 Prozent der Fälle zu weniger Rehospitalisationen, was gegenüber 8,45 Prozent der stationären Fälle in der Vergleichsgruppe ein bemerkenswerter Unterschied ist. «Wir erhoffen uns, dass ‹Hospital at Home›-Ansätze wie ‹Visit› sich schon bald als fixes Angebot im Schweizer Gesundheitswesen etablieren können», sagt Christian Etter, Direktor des Spitals Zollikerberg.


Steigendes Interesse

Die ambulanten Modelle fordern das Gesundheitssystem heraus, die Rolle der Spitäler neu zu denken, betont Lukas Schöb. Die Krankenhäuser müssten sich zu Kompetenzzentren zum Wohl der Patientinnen und Patienten entwickeln. Dass die integrativen Kliniken dabei offenbar eine Vorreiterrolle einnehmen, freut den Spitaldirektor aus Arlesheim. «Nachdem wir lange Zeit belächelt wurden, erleben wir nun ein steigendes Interesse an unseren Kliniken, sei es von Seiten potenzieller Arbeitnehmenden wie auch von anderen Kliniken, die sich für unsere Modelle interessieren.»

Seit Dezember 2024 trägt auch die Klinik Hirslanden in Zürich das Zertifizierungslabel «Integrative Kliniken» für das Fachgebiet Allgemeine Innere Medizin. Sie ist damit die erste zertifizierte Klinik im Grossraum Zürich. Schulmedizinische Therapien und Technologien werden durch den ganzheitlichen Ansatz der Komplementärmedizin ergänzt. «Wir hoffen nun», so Lukas Schöb, «dass wir weitere Brücken bauen können und dadurch auch die jüngere Generation für die integrative Medizin gewinnen können.»


Naturheilmedizin ist prädestiniert

Was bedeutet der Trend zu mehr ambulanten Behandlungen für die Komplementärmedizin, die mit ihren verschiedenen Methoden ja bereits seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung vor Ort leistet? «Die Naturheilmedizin ist für viele Menschen die Erstanlaufstelle für die medizinische Versorgung. Unsere Therapeutinnen und Therapeuten verfügen über die nötige Ausbildung dazu und können am besten einschätzen, was ihre Patientinnen und Patienten benötigen», sagt Anita Lienhard, Vorstandsmitglied beim Berufsverband NVS Naturheilkunde und Komplementärtherapie.

Deshalb sei die Naturheilmedizin mit ihrem Ansatz der Salutogenese prädestiniert dafür, im Rahmen der Ambulantisierung eine prägende Aufgabe zu übernehmen – auch im Sinne einer Förderung der Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten. Die Naturheilmedizin biete sich unter anderem für die Operationsvor- und -nachsorge an. Wie Anita Lienhard betont, konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden, dass zum Beispiel die Akkupunktur hilft, die Folgen einer Narkose besser zu verarbeiten und die Heilungsprozesse zu beschleunigen. «Die ganzheitliche Medizin schafft ein heilsames Umfeld vor und nach einer Operation. In China wurde dies schon lange erkannt; dort arbeiten Schulmedizin und TCM Hand in Hand.»


Blaupause nutzen

Dass dies in nützlicher Frist auch in der Schweiz möglich sein wird, glaubt Anita Lienhard derzeit nicht: «So ein Modell dürfte wohl bereits auf politischer Ebene scheitern. Zu gross sind noch die Grabenkämpfe zwischen den beiden Lagern.» Etwas optimistischer zeigt sich Lukas Schöb: «Wenn die Kantone feststellen, dass ein Modell nachhaltig ist, könnten sie sich in fünf bis zehn Jahren durchaus für eine ganzheitliche Medizin aus der Sicht des Versorgers entscheiden. Nutzen wir nun die aktuelle Blaupause, um den Aufbau neuer Modelle zu fördern.»  

www.integrative-kliniken.ch
www.klinik-arlesheim.ch

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