Vogelmord im Urlaubsparadies

Kategorie: Natur


25 Millionen Singvögel werden im Mittelmeerraum jedes Jahr gefangen, getötet und als Delikatesse verkauft. Dagegen wehren sich auch Schweizer Vogelschützer. Etwa auf Zypern, einer Hochburg des illegalen Vogelfangs.




Carmen Sedonati hört das hohe, gebrochene tscheck tscheck noch bevor uns ein Netz den Weg versperrt. Zehn Meter lang ist es, drei Meter hoch und für das Auge kaum sichtbar. Sie zeigt mit dem Finger auf eine Singdrossel, die sich im Netz verheddert hat. Ihr Kopf ist verdreht, die Füsse sind verrenkt, die Flügel eingeklemmt. Und doch zappelt der Vogel weiter und schreit, tscheck tscheck! Dann geht alles schnell. Sedonati hält die Singdrossel fest, schneidet mit der Schere die Fäden ab, nimmt das Tier aus dem Netz, legt es rücklings auf ihre Knie und zupft das Garn aus dem Federkleid. Minuten später lässt Sedonati die Singdrossel aus ihrer Umklammerung frei. Andere Vögel haben es nicht geschafft. Sie hängen stumm im Netz, sind tot.

Wir sind auf der Urlaubsinsel Zypern, die gerade ein Rekordjahr an Schweizer Urlaubern verzeichnet hat – fast 100 000 haben sich letztes Jahr an den Stränden von Larnaka und Ayia Napa entspannt. Was viele von ihnen nicht wissen: Im Landesinnern kehrt jedes Jahr aufs Neue der Massentod ein. 800 000 Singvögel werden hier pro Jagdsaison auf qualvolle Art und Weise gefangen, getötet und als Delikatesse verhökert. Im gesamten Mittelmeerraum sollen es 25 Millionen sein! Darunter sind viele Vogelarten, die auch in der Schweiz brüten, wie Neuntöter, Gartengrasmücken, Sumpfrohrsänger oder Dorngrasmücken. Dabei ist die Vogeljagd mit Netzen und Leimruten auf Zypern schon seit 1974 verboten. Doch das kümmert hier fast niemanden.

Megageschäft der Vogelmafia

«Das Ganze ist ein Megageschäft, dahinter steckt eine Mafia», sagt Sedonati und rollt mit den Augen. Die 36-jährige Bernerin sitzt im Wohnzimmer eines geräumigen Appartements, umgeben von Funkgeräten, Fotoapparaten, Laptops, Mobiltelefonen, Feldstechern, Nachtsichtgeräten, Vogelbüchern. Zweimal im Jahr mietet sich die Projektmanagerin der Schweizer Stiftung Pro Artenvielfalt mit anderen Vogel- freunden aus aller Welt in eine Wohnsiedlung am Stadtrand von Larnaka im Südosten der Insel ein und nimmt an Vogelschutzcamps teil, die vom deutschen Komitee gegen Vogelmord (CABS) organisiert und von ihrer Stiftung unterstützt werden.

Von der Vogeljagd als «big business» spricht auch Andreas Pitsillides, Chef der Anti-Wilderer-Einheit der britischen Exklave Dhekelia, eine Hochburg des illegalen Vogelfangs unweit von Larnaka. «Vieles deutet auf ein organisiertes Verbrechen hin», sagt er. Oft würden die Anführer junge Männer rekrutieren, die in der Nacht Netze aufbauen und Schmiere stehen. Nicht selten sei das ihr Einstieg in die Kriminalität, sagt Pitsillides. «Viele Jugendliche auf dem Land verdienen wenig oder haben überhaupt keine Arbeit. Die Wilderei bietet ihnen einen Ausweg.»

Dabei ist das Risiko für die Wilderer gering, wie Pitsillides einräumt. Nur ausnahmsweise werden sie an Ort und Stelle überführt und gebüsst. Im Schnitt liegt die Strafe für ein Netz bei 2000 Euro. Benutzen die Wilderer zudem ein elektronisches Lockgerät, kommen weitere 2000 Euro hinzu, und nochmals 2000 Euro müssen sie als Pauschale für bis 50 gefangene Vögel während der Jagdsaison von Ende August bis Mitte März bezahlen. Das sind alles in allem 6000 Euro. Angesichts des Gewinns, den die Wilderer machen, ist diese Summe gering. Vogelschutzorganisationen haben errechnet, dass ein Jäger in der Hochsaison pro Netz und Nacht bis hundert Vögel fängt, die er zu je vier Euro verkaufen kann. Ein gutes Geschäft in einem Land, wo das durchschnittliche Monatseinkommen bei knapp 2000 Euro liegt. Insgesamt soll der Handel mit Singvögeln den schätzungsweise 3000 Wilderern auf Zypern jährlich 15 Millionen Euro einbringen.












ILLEGAL | Leimruten sind die älteste Fangmethode auf Zypern. Setzt sich ein Vogel auf einen mit dem Sud -eingekochter Syrischer Pflaumen bestrichenen Ast, bleibt er daran -kleben. Dieses Rotkehlchen hatte Glück – in diffiziler Kleinarbeit wird es befreit, gesäubert und in die Freiheit entlassen.













Ein Filz von Traditionalisten

Was Pitsillides auch durchblicken lässt: Die Verstrickungen zwischen Jägerschaft, Behörden und Politik scheinen auf Zypern mächtig zu sein. So haben in der Vergangenheit immer wieder Politiker an Kundgebungen von Organisationen teilgenommen, welche die illegale Vogeljagd als zy-priotische Tradition verteidigen. Dazu gehören die «Freunde der Leimruten» (filoi tou ksovergou). Tatsächlich gilt die Leimrute auf Zypern noch immer als nostalgisches Jagdinstrument. Seit dem 16. Jahrhundert werden damit Vögel gefangen. Das Prinzip ist simpel: Man bestreicht eine Rute von etwa 70 Zentimetern mit dem eingekochten Saft der Syrischen Pflaume und legt sie, wie Sitzstangen, horizontal zwischen die Äste eines Baumes. Dann wartet man, bis sich ein Vogel daraufsetzt – und kleben bleibt.

Um Leimruten zu entdecken, braucht es ein geschultes Auge wie das von Carmen Sedonati. Zusammen mit anderen Aktivisten durchstreift sie immer wieder die Südküste der Larnaka-Region und sucht das Gelände nach einem Glitzern ab, das auf den frischen Leim der Ruten schliessen lässt. Oft wird sie fündig, wie an diesem Nachmittag: Ein halbes Dutzend Bäume in einem Radius von 20 Metern sind vollbestückt mit Leimruten, 123 an der Zahl. In einer der Baumkronen baumelt ein Rotkehlchen im Wind. Landet der Vogel, vom langen Flug ermattet, auf einer solchen Rute, klebt er sofort mit seinen Füssen fest und kippt vornüber. Beginnt er dann zu flattern, verkleben auch seine Flügel, der Schwanz, manchmal sogar der Kopf, wenn er sich mit dem Schnabel befreien will. Wie ein flauschiger Schlüsselanhänger hängt das Rotkehlchen dann am Baum, oft stundenlang. Es reisst den Schnabel weit auseinander, seine winzige Zunge zittert. Nur kommt kein Ton aus ihm heraus, nicht einmal ein Krächzen ist zu hören.

Bis der Vogel von der Leimrute befreit ist, dauert es. Erst trennt Sedonati die Füsse vom klebrigen Saft, Kralle für Kralle, dann träufelt sie Wasser auf die Flügel und löst die Federn von der Rute. Manchmal bleiben welche daran kleben und das Rotkehlchen schreit stumm weiter. Nach einer Viertelstunde hält Sedonati den Vogel in der Hand und lässt ihn wegfliegen. Viel Kleinarbeit war das. Kommen die Wilderer, geht alles im Handumdrehen: Sie stossen dem Vogel einen metallischen Stift durch die Brust oder schneiden ihm die Kehle durch.



Vogelgesang reduziert Stress

Was viele von uns bereits ahnten, ist nun auch wissenschaftlich belegt: Naturgeräusche wirken beruhigend auf uns Menschen.

Die Umweltpsychologin Dr. Eleanor Ratcliffe von der britischen Universität Surrey hat in einem von National Trust -unterstützten Projekt nachweisen können, dass Naturerlebnisse zur Reduzierung von Stress beitragen können. Dazu gehören vor allem Geräusche wie Wind, Wasser und eben auch Vogel-gesänge. Letztere gehören sogar zu den Lieblingsgeräuschen der 2000 befragten Menschen, wobei 40 Prozent von ihnen angaben, der Gesang von Vögeln mache sie glücklich. Manchmal ist ein Waldspaziergang mit Vogelgezwitscher offenbar das beste Mittel, um Stress abzubauen.

Die Jagd geht weiter

«Alle hier wissen von der Vogeljagd. Und dass sie illegal ist. Doch die wenigsten kümmert das», sagt Sedonati. Sie ist zwar überzeugt, dass immer mehr Jugendliche vor allem in den Städten diese Jagdmethoden ablehnen. Dagegen protestieren würde aber kaum jemand. Zu tief verwurzelt sei die Jagd. Tatsächlich ist Zypern, so gross wie die Kantone Graubünden und Tessin, mit 50 000 offiziellen Patenten ein Land der Jäger. Gerade die ältere Generation versteht nicht, wieso man die Jagd verboten hat und was diese Vogelschützer eigentlich auf ihrer Insel wollen. Geht es nach ihnen, müsste man die Jagd mit den Leimruten zum UNESCO-Kulturerbe ernennen. «Wir holen doch nur ein paar vom Himmel herab, der noch immer voll ist von diesem Federvieh», sagen sie trotzig. Sedonati kennt diesen Standpunkt, doch sie schüttelt den Kopf: «Das alles ist nicht rechtens, und nur darauf kommt es an. Dem Vogel ist es egal, wer ihn fängt.»

Die Aktionen der Vogelschützer wie auch die Polizeipräsenz in den Fanggebieten tragen ohne Zweifel dazu bei, dass die Zahl der auf Zypern illegal gefangenen Vogel stetig zurückgeht. Doch die Jagd geht weiter. Und sie wird wohl erst enden, wenn der illegale Vogelfang ins Bewusstsein der zypriotischen Bevölkerung rückt und die Wilderei auch gesellschaftlich schärfer sanktioniert wird. Andernfalls wird man sich auch in Zukunft auf eine Tradition berufen, um den Tod von Hunderttausenden Singvögeln zu rechtfertigen. Das weiss auch Carmen Sedonati. Sie sagt: «Solange die Jagd weitergeht, werden wir wiederkommen.» //























WILDERN | Singdrosseln sind be-sonders beliebte Delikatessen auf -Zypern. Dem Jäger bringt sie bis vier Euro ein, gehandelt werden sie in -Restaurants unter der Hand im Dutzend für 80 Euro. «Solange die Vogeljäger weiter-machen, werde ich wiederkommen», sagt Carmen Sedonati, Projektmanagerin bei der Schweizer Stiftung pro Artenschutz. «Hinter der illegalen -Vogeljagd steckt das organisierte Verbrechen», weiss Andreas Pitsillides, Chef der Anti-Wilderer-Einheit. Der Handel mit den Singvögeln soll den schätzungsweise 3000 Wilderern auf Zypern jährlich 15 Mio. Euro einbringen.












Fotos: Klaus Petrus



Helfen Sie, die illegale Vogeljagd auf Zypern zu beenden!

Möchten Sie helfen, den illegalen Vogelfang auf Zypern zu beenden? Das können Sie tun:


●  Schreiben Sie an das zypriotische Konsulat in Zürich und fordern Sie die Behörden auf, die illegale Vogeljagd zu beenden: info@cyconsul.ch


●  Verlangen Sie beim zuständigen Ministry of Interior eine konsequente strafrechtliche Verfolgung

der Wilderer: info@moi.gov.cy


● Unterstützen Sie die Stiftung pro Artenvielfalt mit einer Spende.

Mehr Informationen auf www.stiftung-pro-artenvielfalt.ch


● Machen Sie mit als ehrenamtliche Vogelschützer auf Zypern. Bedingungen sind eine gute physische Kondition, ornithologische Kenntnisse, Fahrausweis und mindestens zehn Tage Teilnahme

beim ersten Mal. Bei Interesse kontaktieren Sie Carmen Sedonati:

carmen.sedonati@stiftung-pro-artenvielfalt.ch



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