Sabine Hurni über Bitterstoffe

Alles, was ich hier in der Schweiz esse, schmeckt süss», sagte mir kürzlich ein Nigerianer, der erst seit wenigen Monaten in unserem Land lebt. Er war sich aus seiner Heimat mehr Bitterstoffe und herbere Speisen gewohnt. Seine Beobachtung stimmt. Die Bitterstoffe sind hierzulande nicht beliebt und lösen bei vielen Leuten einen Widerwillen aus. Dass bittere Nahrungsmittel eine gewisse Abwehrreaktion auslösen, hat wohl evolutionsbedingt eine lebenserhaltende Funktion: Viele giftige Pflanzen schmecken bitter. Aber eben nicht alle, weshalb man nicht davon ausgehen kann, dass jedes bittere Kraut giftig ist.

Während Kinder bittere Speisen gar nicht mögen und stattdessen ein starkes Bedürfnis nach dem süssen Geschmack haben, steigt mit zunehmendem Alter die Akzeptanz für Bitteres. Das ist gut so, denn auch der Bedarf an Bitterem steigt im Laufe der Jahre. Spätestens dann, wenn sich Verdauungsbeschwerden einstellen, wird den Leuten die hilfreiche Funktion der Bitterstoffe bewusst. Kräuterkundige aus dem Mittelalter wie Hildegard von Bingen und Paracelsus empfahlen bittere Kräuter zum Vorbeugen und Heilen von Beschwerden. Sie lehrten: «Was bitter dem Mund, ist dem Magen gesund.» Deshalb gehören die Bitterstoff-Pflanzen zu den ältesten Heilkräutern überhaupt. Sie sorgen für eine gute Gesundheit und tragen zu einem robusten Immunsystem bei. Bitterstoffe sind den sekundären Pflanzenstoffen zugeordnet.

In der modernen Heilpflanzenkunde werden die bitterstoffhaltigen Heilpflanzen (Amara) zur Behandlung von Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Sie wirken krampflösend, entzündungshemmend, antimykotisch und antibakteriell. Ihr Nutzen kommt am besten zustande, wenn man sie jeweils kurz vor der Mahlzeit zu sich nimmt, weil sie auf diese Weise die Verdauungstätigkeit in Schwung bringen und indirekt auch das Immunsystem stärken.


Fettverbrennung ankurbeln

Ihre Wirkung auf den Körper kommt reflektorisch zustande. Das heisst, sie üben über die Rezeptoren auf der Zunge eine Signalwirkung auf die Verdauungsdrüsen aus. Sobald die Geschmacksknospen auf der Zunge mit etwas Bitterem in Kontakt kommen, wird die Produktion von Speichel, Magensaft, Gallenflüssigkeit und Bauchspeicheldrüsensekret aktiviert.

Gleichzeitig erhöht sich die Durchblutung im Darm, die Darmbewegung und Fähigkeit der Darmschleimhaut, Nährstoffe vom Darm ins Blut zu schleusen. Bitterstoffe fördern zudem die Fettverbrennung, sie aktivieren die Muskulatur der inneren Organe und verstärken Stoffwechselprozesse in der Leber. Sind Bitterstoffe in der Nahrung enthalten, tritt das Sättigungsgefühl schneller ein und der Heisshunger auf Süsses wird reduziert.

Aus diesem Grund sind die Bitterstoffe ideale Begleiter in den Frühlingsmonaten. Kein anderer Pflanzenstoff beflügelt die Verdauungskraft stärker und bringt den Stoffwechsel effizienter in Schwung wie die Bitterstoffe. Im Frühling profitiert der Körper besonders intensiv von diesem Effekt, da sich im Winter meistens eine gemütliche, körperliche Trägheit einschleicht und die Ernährung in der kalten Jahreszeit eher üppig und energiereich ist. Werden die Tage länger, sollte man deshalb nicht nur an der Fasnacht, sondern auch auf Körperebene den Winter austreiben, indem man den Stoffwechsel wachrüttelt und den Körper auf diese Weise sanft entgiftet.


Bitter macht leicht

Den Stoffwechsel kann man auf viele verschiedene Arten in Schwung bringen. Wer Lust hat, eine Woche zu Fasten, und das auch gut verträgt, kann dies selbstverständlich machen. Doch auch im normalen Arbeitsalltag lässt sich eine Detox-Kur durchführen. Dabei gilt es folgendes zu beachten: Geniessen Sie in den Monaten März und April reichlich bitteres Gemüse wie Catalonia, Spinat, Chicorée, Artischocken, Rosenkohl, Pastinaken, Rucola und Endivien. Sobald in der Natur die ersten Kräuter spriessen, bietet der Bärlauch seine Dienste an, die Hopfensprossen, wie auch die jungen Birken- und Löwenzahnblättchen.

Fasten Sie zwischen den Mahlzeiten fünf Stunden lang und gönnen Sie dem Darm ein- bis zweimal die Woche eine längere Essenspause, indem Sie abends nichts mehr oder nur eine dünne Gemüsesuppe zu sich nehmen. Machen Sie sich einmal die Woche einen Entlastungstag mit Suppe oder Gemüsesäften oder bereiten Sie sich das Ayurvedische Detox-Gericht Kitchari (Reis-Mungbohnen-Gericht) als Suppe oder Eintopf zu. Trinken Sie täglich vor den Mahlzeiten einen bitteren Tee, der je nach Mischung alle Ausscheidungsorgane anregt. Dazu gehören Kräuter wie Brennnessel, Löwenzahn, Mariendistel, Birkenblätter, Artischockenblätter oder Schafgarbe. Im Fachhandel finden Sie fertig gemischte Entschlackungs- und Stoffwechsel-Teemischungen. Kommen Sie spielerisch in Bewegung, indem Sie sich zweimal täglich eine halbe Stunde oder mehr spazieren gehen, sich häufiger aufs Fahrrad schwingen, anstatt den Bus zu nehmen und den Tag mit 12 Sonnengrüssen starten, falls Sie Yoga-Kenntnisse haben.

Wichtig ist, dass Sie dabei die Energie, die Leichtigkeit und die Freude fühlen können, die sich im Körper breit macht. Alles, was wir essen und was wir tun, beeinflusst das Energiesystem. Wenn wir lernen, das wahrzunehmen, können wir bewusster im Einklang mit den Jahreszeiten und dem eigenen Körper leben.

 

Sabine Hurni arbeitet als Naturheilpraktikerin und Lebensberaterin in Baden, wo sie auch Ayurveda Kochkurse, Lu Jong- und Meditationskurse anbietet.

 

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