Das Goldkraut für die Nieren

Die Echte Goldrute ist eine Heilpflanze mit breitem Wirkspektrum. Im Laufe der Geschichte hat sich ihr Einsatzgebiet verschoben – vom Wundkraut zum Kardinalmittel gegen Nierenerkrankungen.

Yves Scherer


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amilienferien in der Toskana. Die Kinder planschen gemütlich im Schwimmbecken, als mir unverhofft ein balsamischer Duft in die Nase steigt. Er ist warm und würzig. Dieser Duft hat etwas Verheissungsvolles an sich. Ich lege mein Buch beiseite und folge dem unbekannten Aroma. Die Kinder kommen mit, den lebensgrossen, aufgeblasenen Delfin im Schlepptau. Auf einer kleinen Anhöhe machen wir Rast. Der Delfin ist müde geworden. In der Ferne glitzert das blaue Meer und um uns herum leuchten goldgelb blühende Kräuter. Sie sind es, die den feinen Duft verströmen. Es sind stattliche, hüfthohe Pflanzen, deren Blätter sich leicht klebrig anfühlen. Meine Intuition sagt mir, dass diese Kräuter heilende Eigenschaften besitzen. Ein solcher Duft kommt nicht von Ungefähr. Wir pflücken einen grossen Strauss und machen uns auf den Rückweg. Als die Kinder wieder im Wasser sind, giesse ich mir einen Tee aus dem blühenden Kraut auf. Er schmeckt angenehm herb und leicht bitter. Den Rest des Krautes hänge ich im Schatten zum Trocknen auf.

Die echte Goldrute (Solidago virgaurea) ist mehrjährig und gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae). Die Pflanze trägt goldgelbe Blütenrispen und kann bis zu einem Meter hoch werden. Wenn die winzig kleinen Samen heranreifen, entwickelt sich aus der Blüte ein Pappus. Diese Haarkrone dient den Samen als Flugkörper und wird vom Wind davongetragen. Auch vorbeistreifende Tiere und Ameisen tragen zur Verbreitung bei. Der wissenschaftliche Name der Pflanze setzt sich zusammen aus den lateinischen Begriffen solida (fest, stabil), virga (Rute) und aurea (golden). Man findet die echte Goldrute an trockenen, nährstoffarmen Standorten. Sie wächst gerne in lichten Laubwäldern und an Wegrändern. Südlich der Alpen besetzt sie oft grosse Flächen auf brachliegendem Land und entlang von Bahndämmen. Der Bahnhof von Pisa zum Beispiel ist im Sommer ein gelber Blumenteppich.


Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) aus dem Herbarium des Autors.


Die dominante Schwester aus Nordamerika

Eine verwandte einheimische Art der echten Goldrute ist die kleinwüchsige Alpen-Goldrute (Solidago minuta). Man findet sie nicht allzu oft und sollte sie deshalb stehen lassen. Ganz anders präsentiert sich die grosse Kanadische Goldrute (Solidago canadensis). Die im 17. Jahrhundert als Zierpflanze aus Nordamerika eingeführte Art hat sich längst aus den privaten Gärten und Parkanlagen davongestohlen. Sie besiedelt nun Wiesenränder, Waldlichtungen und bildet auch im städtischen Umfeld grosse Bestände aus. Sie wird deswegen als invasiver Neophyt bekämpft.

Neophyten sind zum Politikum geworden, weil diese eingeschleppten Pflanzen mitunter einheimische Arten verdrängen. Die Problematik der Neophyten wird indes kontrovers diskutiert.

Meines Erachtens ist es sinnlos, ihre Ausbreitung verhindern zu wollen. Durch die globalen Warentransporte werden Pflanzensamen über alle Kontinente verteilt und die eingeschleppten Arten etablieren sich, wenn ihnen die Lebensbedingungen am neuen Standort passen. Daran lässt sich nur schwerlich etwas ändern. Hauptverantwortlich für den Artenschwund sind sowieso nicht standortfremde Pflanzen, sondern die industrialisierte Landwirtschaft und der ungebrochene Bauboom.

« Die Goldrute als Heilpflanze
birgt eine Vielzahl
positiver
gesundheitlicher
Wirkungen»


Die Goldrute als Heilmittel

Ein alter Name für die Goldrute ist Heidnisch Wundkraut. Dieser verweist darauf, dass das Kraut bereits in vorchristlicher Zeit als Wundheilpflanze verwendet worden ist. Zur Wundbehandlung dienten wohl meistens ein Aufguss und der einfach herzustellende Pflanzenbrei. In der traditionellen Volksheilkunde soll die Goldrute auch bei Asthma und Keuchhusten gute Dienste leisten.

In der modernen Phytotherapie gilt die Goldrute als sogenannte Kardinalpflanze für die Nieren und die ableitenden Harnwege. Das heisst, es ist eine Heilpflanze, die sich am besten zur Therapie einer bestimmten Krankheit oder eines Organs bewährt hat. Goldruten wirken harntreibend, nierensteinbrechend, entzündungshemmend, mild krampflösend, antiödematös, schmerzlindernd, antibakteriell, antioxidativ, krebsfeindlich und immunstärkend. Sie wird bei akuten und chronischen Nieren-, Blasen- und Harnwegserkrankungen eingesetzt und bietet den Vorteil, die Funktion der Nieren zu verbessern, ohne deren Gewebe zu reizen. In seinem renommierten Standardwerk «Das grosse Buch der Heilpflanzen» schreibt der Apotheker und Sachbuchautor Mannfried Pahlow: «Extrakte aus der Goldrute allein sind in der Lage, bleibende Nierenschäden bei einer Glomerulonephritis (Entzündung des Funktionsgewebes der Nieren) zu verhindern». Die Heilpflanze eignet sich somit gut als Begleittherapie zur ärztlichen Behandlung.

Vorbeugend eingenommen kann Goldrute wiederkehrende Harnwegsinfekte und die Symptomatik der Reizblase lindern. Das Völlegefühl der Blase, Brennen beim Wasserlassen und sogar der unfreiwillige Harnabgang können sich während einer mehrwöchigen Kur mit Goldrutentee oder Fertigpräparaten deutlich verbessern oder gänzlich verschwinden.

Links: Echte Goldrute auf Sizilien.
Rechts: Blütenstand der echten Goldrute (Solidago virgaurea).


Wassertreibendes Heilmittel

Die Goldrute wirkt wassertreibend (aquaretisch). Sie erhöht die Menge des ausgeschiedenen Harns. Wassertreibende Drogen können bei bakteriellen Infekten der Harnwege und der Nieren, bei Erkrankungen der Haut, der Leber und des rheumatischen Formenkreises hilfreich sein, weil sie die Ausscheidung von harnpflichtigen Schlackenstoffen unterstützen und so den Stoffwechsel entlasten. Wer an einem Ödem leidet, sollte mit der behandelnden Fachperson absprechen, ob wassertreibende Heilpflanzen eingesetzt werden dürfen. Sind Herz und Niere gesund oder ihre Therapie engmaschig kontrolliert, kann die Goldrute als Begleitmittel eingesetzt werden und möglicherweise helfen, die Dosis der verordneten Medikamente zu reduzieren. Unerwünschte Nebenwirkungen sind bis heute keine bekannt. Goldruten enthalten Flavonoid- und Phenylglykoside, Saponine, ätherische Öle, Gerbstoffe, Chlorogensäure, Mineralstoffe und viele weitere sekundäre Pflanzenstoffe. Die Zusammensetzung und Konzentration der Wirkstoffe ist bei den verschiedenen Goldruten-Arten etwas unterschiedlich. Wie genau sich die Wirkung der Echten Goldrute von derjenigen der Kanadischen Goldrute unterscheidet, ist nicht abschliessend geklärt. Ihr Wirkprofil und ihr Einsatzgebiet sind auf jeden Fall sehr ähnlich. Es empfiehlt sich daher, die beiden abwechselnd oder als Mischung anzuwenden.


Aus der Naturheilpraxis

Die Naturheilkundliche Therapie von Harnwegsinfekten erfolgt auf zwei Ebenen:
Zum einen mit wassertreibenden Heilpflanzen-Anwendungen, welche die Harnwege durchspülen, zum anderen mit harnwegsdesinfizierenden Arzneien, welche krankmachende Keime abtöten. Zum Desinfizieren eignen sich zwei pflanzliche Antibiotika, die problemlos zu Hause im Garten gezogen werden können: Meerrettich (Armoracia rusticana) und Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus).

Vom Meerrettich verwendet man den frisch geriebenen Wurzelstock, von der Kapuzinerkresse geniesst man Blüte und Blatt roh, direkt ab Pflanze. Beide Heilpflanzen enthalten stark antibakteriell wirksame Senföle. Man soll sie während maximal sechs Wochen jeweils nach dem Essen einnehmen. Unterstützend dazu, kann auch der Saft der amerikanischen Preiselbeere/Cranberry (Vaccinium macrocarpon) eingenommen werden. Er desinfiziert die Harnwege.

Anwendungstipps

Die Goldrute eignet sich als Teezubereitung. Entweder für sich allein oder kombiniert mit weiteren Teepflanzen, die eine unterstützende Funktion bei Harnwegsinfekten haben. Zum Beispiel die Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi), die Birke (Betula pendula), die Brennessel (Urtica dioica), der kieselsäurehaltige Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense) und der Löwenzahn (Taraxacum officinale).

Teezubereitung
2–3 Teelöffel Goldrutenkraut oder Goldrutenmischung mit 1/2 Liter heissem Wasser übergiessen und 20 Minuten ziehen lassen. Über den Tag verteilt trinken.

Tipp
Die Triterpensaponine der echten Goldrute wirken sehr gut gegen Pilzerkrankungen, besonders bei Befall durch Candida-Hefepilze. Bei einer Erkrankung der Haut, der Mundschleimhaut oder des Genitals kann mit einem starken Tee zum Gurgeln, als Waschung oder Sitzbad behandelt werden.

 


Yves Scherer ist Herbalist, diplomierter Naturheilpraktiker und visueller Gestalter. Er unterrichtet Phytotherapie an verschiedenen Fachschulen und bietet eine eigene Ausbildung in Pflanzenheilkunde sowie Kräuterwanderungen an: www.medizingarten.ch / www.medizinwald.ch

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