«Ziel der Tanztherapie ist die Entfaltung des Menschen»

Wir haben mit Tanztherapeutin Katherina Victoria Reich, Schulleiterin des Berner Zentrums für Tanz- und Kunsttherapie, gesprochen.

Interview: Blanca Bürgisser

Was ist das Ziel der Tanztherapie?

Ziel der Tanztherapie ist die Entfaltung des Menschen. Wir gehen bei der Arbeit immer von dem in jedem Menschen innewohnenden gesunden Kern aus und glauben, dass der Mensch es schaffen kann, sich von seinen negativen Erfahrungen zu befreien und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In der Tanztherapie werden die Ressourcen des Menschen gefördert, um auch in schwierigen Lebenssituationen inneren Halt zu bewahren.

Wie funktioniert die Tanztherapie?

Begonnen wird mit einem Anfangsgespräch, um zu klären, wo die Person im Moment steht. Es wird geschaut, was für Themen im Vordergrund stehen und welche Wünsche vorhanden sind.

In der Tanztherapie steht der Körper im Vordergrund. Es geht nicht um das Tanzen, sondern um das Wahrnehmen des eigenen Körpers und um einen achtsamen Umgang mit dem Körper. Dabei wird auch die Beobachtungsgabe für die eigene Innenwelt geschärft: «Was nehme ich wahr, wenn meine Gedanken leiser werden?»

Mit welchen Methoden arbeitet die Tanztherapie?

Es wird ein Raum geschaffen, in dem sich das Gegenüber neu erfahren kann. Die Tanztherapie ist sehr praktisch und gibt die Möglichkeit, aktiv Veränderungen im Alltag umzusetzen. Wir arbeiten mit Choreografien, Aufstellungen, Bilderreisen, Körper- und Achtsamkeitsübungen sowie mit dem Atem, der Körperhaltung und der Stimme. In unserer Ausbildung gehört neben der Tanztherapie auch der malerische und gestalterische Aspekt dazu. Die Kombination von Bewegung und Malen gibt die Möglichkeit, Unaussprechbares zum Ausdruck zu bringen und die tiefen Sehnsüchte der Seele zu erkennen. So kommen wir in Kontakt mit unserem gesunden Kern. Es wird sichtbar, wo der Körper blockiert ist und die Energien nicht mehr fliessen. Sobald die Seele von dem alten Ballast befreit ist, fliessen die Energien in uns wieder. Dann kann sich der Körper von schmerzhaften Erinnerungen (auch von solchen, an die wir uns nicht mehr erinnern können, die jedoch in unserem Körper gespeichert sind) befreien.


Wie hilft die Tanztherapie bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzuständen?

Durch das Gespräch und die Tanztherapie erkennt der Mensch, wo er im Leben steht. Sich einzugestehen, dass die aktuelle Lebenssituation einen krank macht, ist ein wichtiger Punkt, bei dem der Heilungsprozess bereits beginnt. In der Tanztherapie wird eine neue Sichtweise auf sich und die aktuelle Lebenssituation geschaffen. Dem Gegenüber wird dadurch bewusst, dass es dem Leben nicht ausgeliefert ist, sondern dass es Möglichkeiten gibt, aus der schwierigen Lebenssituation auszutreten und das Leben anders wahrzunehmen.

« Es wird ein Raum geschaffen, in dem sich das Gegenüber neu erfahren kann. »


Durch die Tanztherapie kann der Mensch den Zugang zu seiner inneren Stärke wieder erlangen und erfahren, dass er nichts zu fürchten braucht, wenn er in Kontakt mit seiner inneren Stärke ist. Dadurch fällt das Suchen im Aussen weg. Man erkennt, dass alles, was man zur Heilung braucht, in einem selbst liegt. Wenn der Mensch sich selbst annimmt, werden seine Bewegungen klarer und die Wahrnehmung deutlicher.


Wie geht die Tanztherapie bei der Aufarbeitung von Traumata vor?

Das Aufarbeiten von Traumata ist ein Prozess, der Zeit braucht. Es wird ein vertrauensvoller Raum geschaffen, in dem sich das Gegenüber in Begleitung den Verletzungen aus der Vergangenheit widmen kann.

Das Zurückführen in die Vergangenheit kann unterschiedlich stattfinden, z. B. durch eine angeleitete Bilderreise. Auch während der Körperarbeit kann sich dem Gegenüber der Zugang zu Erinnerungen öffnen. Das Erinnern an die Situation ist der erste Schritt. Danach geht es darum, das Unausgesprochene auszusprechen, dem, was in der traumatisierenden Situation keinen Raum hatte, Raum zu schenken und angestaute Gefühle zu befreien.

Durch das Befreien von alten Gefühlen entsteht ein neuer Raum, in dem das Gegenüber in Kontakt mit seinen eigenen Wünschen kommt und sich dadurch in seinem Leben neu orientieren kann.

«Es geht um das Wahrnehmen unserer Gedanken und unseres Körpers und um einen achtsamen Umgang damit.»


Wie hilft die Tanztherapie bei körperlichen Erkrankungen oder chronischen Schmerzen?

Wir gehen davon aus, dass viele körperliche Symptome in Zusammenhang mit einem psychischen Ungleichgewicht stehen: «Wenn die Seele leidet, schreit der Körper.» Tanztherapie kann bei körperlichen Erkrankungen und chronischen Schmerzen helfen, indem sie den Umgang damit erleichtert und zur Linderung gewisser Symptome führen kann. Dies hängt damit zusammen, dass Körper, Seele und Geist eine Einheit bilden und nicht voneinander getrennt sind. So haben wir die Möglichkeit durch die Tanztherapie und den damit verbundenen Zugang zum Körper zu diesem seelischen und geistigen Ungleichgewicht zu finden.

Es wurde durch Studien gezeigt, dass ein sorgenerfüllter Gedanken ein bestimmtes Gefühl im Körper auslöst, was dann wiederrum Stresshormone wie Kortisol und Adrenalin ausschüttet, was dem Körper langfristig schadet. Wenn wir uns also unsere Gedanken und Gefühle durch die Tanztherapie bewusst machen, haben wir die Möglichkeit das Wohlbefinden unseres Körpers zu beeinflussen.

 

Katherina Victoria Reich ist Schulleiterin des Berner Zentrums für Tanz- und Kunsttherapie und Schülerin von Trudi Schoop. Sie hat das Gelernte in ihrer eigenen Methode (Methode n. Katherina Victoria Reich) weiterentwickelt.

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