Auf ewig Dein

Kategorie: Gesundheit


Es sind magische Worte: «Ich liebe dich!» Sie bedeuten heute ­etwas anderes als früher. Partner wollen heutzutage vor allem in ihrer Ganzheit geliebt werden. Ein hoher Anspruch mit Folgen.




Wohl kein Thema bewegt uns mehr als die Liebe. Und trotz steigender Trennungsraten ist der Wunsch nach einer langfristigen und befriedigenden Beziehung für die meisten Menschen zentral. Darum fragen sich viele, wie eine Beziehung lange, gar ein Leben lang halten kann? Was müssen Partner tun, was sein lassen? Was braucht es, damit man nach der heissen Phase der Verliebtheit e in glückliches Paar bleibt?

Blickt man auf die Geschichte der Beziehungen zurück und auf das, was Partner heute von einer Beziehung erwarten, stellt man massive Veränderungen fest. Das ist ganz natürlich, denn die «Liebe» spiegelt stets die Lebenswirklichkeit der Menschen wider. Eins steht jedoch fest: Die Ansprüche an den Liebespartner sind heute enorm hoch; wahrscheinlich so hoch wie nie zuvor. Der Paarberater und Buchautor Michael Mary erklärt: «Was heute unter Liebe verstanden wird, unterscheidet sich beträchtlich von dem, was wir vor zwanzig Jahren mit ‹Liebe› gemeint war. Heute wollen Partner das Gefühl bekommen, für jemand anderen die wichtigste Person zu sein. Paare sprechen heute nur dann von einer Liebesbeziehung, wenn sie eine emotional-leidenschaftliche Verbundenheit miteinander erfahren.» Heute spielen also tiefe Gefühle, die dauerhaft sein sollen, die grösste Rolle in Paarbeziehungen. Das ist neu in der Geschichte.

Partnerin oder Geliebte?

Traditionelle Liebesformen wie die partnerschaftliche, die freundschaftliche und die geschlechtliche Liebe haben heute, gegenüber der emotional-leidenschaftlichen Liebe stark an Bedeutung verloren, betont Michael Mary. Das war früher anders: Bis Ende des 19. Jahrhunderts bestand der Sinn einer Ehe darin, Eigentumsverhältnisse zu regeln. Diese partnerschaftliche Bindung war aber nur den besitzenden Ständen vorbehalten. Liebe und Zuneigung waren reine Glückssache; -Leidenschaft in der Ehe war sogar lange Zeit tabu. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Unabhängigkeit gewann die freundschaftliche Liebe an Bedeutung.


Sympathie, gemeinsame Interessen und der Wille, sich gegenseitig Gutes zu tun, sind hier die Motive. Die Vorstellung, dass man aus reiner Liebe heiratet, kam erst in der Romantik auf. In den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Partner vor die Aufgabe gestellt, sich im gegenseitigen psychischen Wachstum zu unterstützen. Heute in unserer individualisierten Gesellschaft will der Partner vom anderen vor allem in seinem Selbst bestätigt werden. Mary: «Das zentrale Motiv der heute gelebten oder gewünschten Liebesform, der emotional-leidenschaftlichen Liebe, ist, vom anderen ganz und gar geliebt zu werden. Man will das Gefühl haben, vorbehaltslos angenommen zu sein.» Das überfordert manche Partner.

Schuld ist keiner!

Die verschiedenen Liebesformen erfüllen nicht nur unterschiedliche Aufgaben, sie «beissen» sich auch. Braucht die eine Leidenschaft, sind bei der anderen, wie der partnerschaftlichen Liebe, Verlässlichkeit und Sicherheit zentral. Beide Eigenschaften sind schwer zu vereinen. Und doch lebt jedes Paar stets einen Mix aus allen Formen. Dieser Mix verändert sich mit den Lebensphasen. Meist sei den Paaren gar nicht bewusst, welche Liebesform sie leben oder leben wollen, so Michael Mary. Der Paarberater betont: «Eine Bindungsform kann für eine gewisse Zeit wichtig sein, etwa die partnerschaftliche Liebe bei der Familiengründung. Stärkt ein Paar diese Bindung, geschieht dies meist auf Kosten der leidenschaftlichen Liebe. Das Begehren schwindet. Da macht kein Partner etwas falsch. Es ist die logische Folge, da sich die Liebesmotive geändert haben.» Darum greifen laut Mary Ratschläge wenig bis gar nicht, Ratschläge wie man solle «den Sex wieder interessanter machen», dieses oder jenes tun oder «richtig» kommunizieren, damit die Beziehung Bestand hat. «Viele Probleme entstehen, weil Partner die Liebesformen unbewusst dauernd vermischen. Zudem wird oft erwartet, alles mit einem Partner zu teilen. Diese überhöhten Erwartungen an die Partnerschaft führen öfter zu deren Ende, als es sein müsste», weiss Mary aus seiner Beratungstätigkeit.


«Liebe ist nicht das was man erwartet zu bekommen, sondern das was man bereit ist zu geben.» Katharine Hepburn


Die Karten neu mischen

Wie gelingt es nun, den verbreiteten Wunsch nach einer dauerhaften Beziehung zu verwirklichen? Zunächst ist fraglich, was man überhaupt als «dauerhaft» bezeichnet. Für einige Paarberater sind schon fünf Jahre eine «Langzeitbeziehung». Michael Mary rät Paaren, als erstes die Partnerperspektive loszulassen. «Hilfreich ist eine Haltung, die fragt: Was ist mit diesem Partner/dieser Partnerin momentan möglich? Anstatt zu erwarten, dass sich die Beziehung meinen Erwartungen anpasst, können sich Partner an die Beziehung anpassen.» Beide Partner seien Individuen, die aufeinander reagierten. Eine Beziehung sei nichts, woran man zielgerichtet arbeiten oder die man willentlich gestalten könne, sondern eine Geschichte sich gegenseitig bedingender Reaktionen aufeinander. «Wie sich eine Liebe entwickeln wird und welche Motive darin zum Vorschein kommen, erfahren Partner erst im Verlauf ihrer Beziehungsgeschichte.»

Jemand zu lieben sagt wenig darüber aus, wie sich die Beziehung entwickeln wird – obwohl es sich anfangs anfühlt, als wäre alles und noch ein bisschen mehr miteinander möglich. Was Partner bereit sind, zu geben, erfahren sie erst im Laufe der Zeit. «Ich glaube, dass jemand nur dann dauerhaft in einer Beziehung bleiben kann, wenn er Akzeptanz und Bestätigung für die Person findet, die er mittlerweile geworden ist», betont der Experte. Wenn er plötzlich nicht mehr wie gewohnt mitmache, offenbare er, dass er nun ein anderer geworden sei. So kann aus einem Marathonaspiranten ein Sofahocker werden, aus einer gefügigen Sexpartnerin eine fordernde Liebhaberin. «Die Beziehung wird durch die Selbstoffenbarung in Unruhe versetzt und verändert», sagt Mary. «Das zwingt die Partner, die Karten neu zu mischen.»


Jede Entwicklung, jede Veränderung kann Konflikte auslösen und tief verunsichern. Eine Störung ist jedoch immer auch eine wertvolle Information. Spannend ist, wie der Partner mit dieser Information umgeht. Diese Unsicherheit und die Betonung der Unterschiedlichkeit seien auch Chancen für Paare, ist Mary überzeugt: «Es sind gute Mittel gegen Selbstverständlichkeit und Langeweile. Die Beziehung bleibt lebendig.» Aufruhr ist also nicht per se schlecht. Oft ist sie sogar nötig, damit die Beziehung nicht endgültig einschläft.


«Es muss von Herzen kommen, was auf Herzen wirken soll.» Johann Wolfgang von Goethe

Akzeptanz und Bestätigung

In solch turbulenten Phasen einer Beziehung ist eine Haltung der Neugier und Offenheit unverzichtbar. Von beiden Partnern. Wer sich derart offenbare, so Mary, müsse mit Ablehnung rechnen. Ablehnung und Zuwendung seien indes gleichwertig zu verstehen: «Wer mich nicht akzeptieren kann, wie ich bin, darf sich gern abwenden.» Der Erhalt einer Beziehung um ihrer Dauer willen stellt für ihn keinen Wert dar. «Wenn aber Partner die Suche nach der perfekten Beziehung oder einem Idealbild aufgeben und sich entschliessen, das Miteinander zu leben und geniessen, was ihnen zu diesem Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen möglich ist, entdecken sie die Form ihrer ganz spezifischen Liebe.»


Es wäre das Ende der Liebe, könnte man sie kontrollieren und beherrschen. Wenn der Fokus heute mehr und mehr auf der emotional-leidenschaftlichen Liebe liegt, werden Paarbeziehungen intensiver, aber auch labiler. Dabei sind die Partner selbst die grösste Gefahr für ihrer Beziehung, und zwar in ihrer Eigenschaft als Individuen. Die emotional-leidenschaftliche Liebe verlangt viel, sie bietet jedoch auch viel. Sie verträgt sich besser mit der Unabhängigkeit, nach der viele streben, als andere Liebesformen. Die «Ganzliebe» zielt auf den Einzelnen so sehr ab, dass sie die Konventionen von Paarbeziehungen sogar ausser Kraft setzen kann. //


Buchtipps



Michael Mary «Lebt die Liebe, die ihr habt. Wie Beziehungen halten», Henny Nordholt 2018, ca. Fr. 18.–









Wieland Stolzenburg «Beziehungsleben: Wie du die Lösung für eine erfüllende Partnerschaft findest», BoD 2018, ca. Fr. 17.–

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