Anderswelt: Das Licht der Hoffnung

Die Wintersonnenwende, das ist jener kosmische Moment im Dezember, wenn die Tage beginnen, wieder länger zu werden. Seit der Christianisierung feiern wir rund um die Sonnenwende die Geburt Jesu; davor feierten unsere Vorfahren in verschiedenen Ausprägungen die Rückkehr des Lichts. Für mich ist das ein und dasselbe, nämlich die Rückkehr der Hoffnung in dunklen Zeiten. Und dunkel sind sie, diese Zeiten.


Überall auf der Welt wuchern sie, die Fleurs du Mal, die Blumen des Bösen. Und der Boden, der sie so prächtig gedeihen lässt, heisst Angst. Es ist die Angst vor den immer unkontrollierbarer werdenden Folgen unseres Tuns. Die ungebremste Ausbeutung von Mutter Natur zeigt unübersehbar Wirkung, nicht nur im sich ändernden Klima, sondern auch in den zunehmend gewalttätigen Konflikten um Land, Einfluss, Religion, Ideologie, Macht und schwindende Rohstoffe.

Wenn ich so darüber nachdenke, dann dünkt es mich: Die sich weltweit abzeichnenden Veränderungen machen uns alle zu Flüchtlingen. Einige fliehen vor Krieg und Armut in jene Länder, in der sich die bereits dort Wohnenden aus Angst vor dem Verlust ihres Wohlstandes gerade in den Weihnachtskonsum flüchten. Ei, was da an Geld und Gut wieder hin und her geschoben wird – allein schon die Menge an Verpackungsmaterial…aber alles bestimmt ganz nachhaltig.

Nun ist der Weihnachtskonsum per se nichts Schlimmes, schliesslich geht es dabei meistens ums Schenken. Und Schenken wiederum ist etwas Schönes, eine zutiefst menschliche Geste. Die Heiligen Drei Könige haben dem Jesuskind als Zeichen ihrer Verehrung – oder wäre Liebe nicht das bessere Wort - auch Geschenke gebracht.

Ich jedenfalls kann mich um Weihnachten herum nie ganz dem Bedürfnis erwehren, unterschiedlichsten Menschen mit einem Geschenk meine Verbundenheit zu zeigen. Und es muss im materiellen Sinne ja nicht gleich Weihrauch, Gold und Myrrhe sein, davon haben wir alle längst genug. Wie wäre es dafür mit einem schlichten Kerzlein und ein Bisschen Zeit? Wir besuchen einen lieben Menschen oder laden ihn zu uns ein, stellen das Kerzlein zwischen uns, zünden es an und solange es brennt, reden wir miteinander, hören einander zu und vielleicht schweigen wir auch zusammen, betrachten still den Tanz der Flamme und nehmen den Mensch vis-a-vis von uns so an, wie er ist. Kein Verurteilen, kein Hass, kein Streit, keine Rechthaberei – denn davon haben wir auf der Welt schon mehr als genug.

Kerzen sind für mich ein wunderbares Symbol für die Rückkehr von Wärme und Liebe, und das ist schliesslich auch das Versprechen, das im Tag der Wintersonnenwende und im Geist der Weihnacht steckt. Zeit wiederum ist das wertvollste und gleichzeitig auch knappste und flüchtigste Gut, das wir im Leben haben. Zeit, geschweige denn Lebenszeit, lässt sich weder kaufen noch konservieren – und trotzdem können wir sie zusammen mit dem Licht der Hoffnung nahestehenden und sogar wildfremden Menschen schenken, nicht nur zu Weihnachten, sondern jeden Tag.

 

Markus Kellenberger ist Autor und Journalist. In der Kolumne «Anderswelt» betrachtet er Alltägliches – nicht nur – aus schamanischer Sicht, und an seinen «Feuerabenden» im Tipi begleitet er Menschen auf der Reise ins Innere. markuskellenberger.ch

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