Stärke aus dem Suppentopf

Kategorie: Essen


Einst waren Suppenhühner ein Festschmaus und die Suppe ein wirkungsvolles Hausmittel. Heute ermöglichen sie ungeahnte kulinarische Genüsse und helfen mit, ein ethisches Problem zu lösen.



«Kein anderes Nutztier setzt Futter so effizient in hochwertiges Eiweiss um wie eine Legehenne.»

Das Wandbild am Kronenplatz in Burgdorf stellt eine Szene aus dem Jahre 1388 dar: Herrschaftlich gekleidete Herren servieren Damen im Sonntagsstaat eine Hühnersuppe als Dank für ihren wehrhaften Einsatz gegen österreichische Soldaten. Damals war die Hühnersuppe ein Festessen, das sich kaum jemand leisten konnte. Selbst Mitte des 20. Jahrhunderts waren Pouletmahlzeiten noch ein seltenes und teures Vergnügen. Hatte man Hühner, hielt man sie vier, fünf Jahre, bis sie keine Eier mehr legten. Und der spätere US-Präsident Herbert Hoover zog 1929 mit dem Versprechen in den Wahlkampf, «ein Huhn in jedem Topf und ein Auto in jeder Garage».


Heute ist Huhn etwas Alltägliches geworden: In der Schweiz werden pro Person 10,7 Kilogramm Hühnerfleisch und rund 200 Eier pro Jahr gegessen. Die Hälfte davon stammt aus heimischen Ställen; Tendenz steigend. Weltweit hat sich die Zahl der Hühner innerhalb von 25 Jahren verdoppelt. Die Welternährungsorganisation FAO beziffert den globalen Bestand auf über 20 Milliarden.

Vom Haushuhn zu den Spezialisten

Mit dem Wunsch nach mehr und günstigem Hühnerfleisch und günstigen Eiern wurde die Zucht intensiviert. Daraus entwickelten sich zwei verschiedene Linien, die sogenannten Lege- und Masthybride. Aus dem Haushuhn entstanden in der Folge zwei Nutztiere.

Masthybride sind nach rund einem Monat ausgemästet und schlachtreif; sie werden zu diversen Fleischprodukten verarbeitet. Eine Legehenne beginnt im Alter von 20 Wochen fast jeden Tag ein Ei zu legen. Kein anderes Nutztier setzt Futter so effizient in hochwertiges Eiweiss um wie eine Legehenne: Pro Tag pickt sie rund 120 Gramm Mais, Weizen und Soja und legt ein Ei von rund 60 Gramm. Entsprechend ist die Klimabilanz im Vergleich zu anderem tierischem Eiweiss um ein Mehrfaches besser.

Weltweit sind Hühnerfleisch und Eier für viele Menschen günstig geworden. Doch die Entwicklung hat auch ihre negativen Seiten. Von Natur aus können Hähne keine Eier legen. Männliche Legehybride eignen sich aber auch nicht für die Mast, da sie zu wenig Fleisch ansetzen. Sie sind in der intensiven Geflügelhaltung überflüssig und werden nach dem Schlüpfen, am ersten Lebenstag, mit CO2 betäubt und getötet. Pro Jahr sind das zwei bis drei Millionen Küken allein in der Schweiz. Das ist sowohl in den konventionellen wie Bio-Richtlinien erlaubt, im Gegensatz zum Schreddern, das seit Anfang 2020 in der Schweiz verboten ist.

«Ein schmackhaftes Suppenhuhn ist einfach zu kochen – es zu kaufen ist schon schwieriger.»

Wegkommen vom Kükentöten

Legehennen werden nach 1,5 Jahren «ausgestallt». Die Legekurve wird flacher, die Eier werden grösser und die Schale weniger hart. Das erfüllt weder die Erwartungen der Halter noch der Konsumenten. Doch wohin mit den Hühnern? Das Suppenhuhn, einst als Festschmaus gereicht, ist in unserem Kulturkreis weitgehend vom Esstisch verschwunden. Das Fleisch entspricht nicht unseren Ansprüchen. Gemäss GalloSuisse wurden letztes Jahr 50 Prozent der Hennen geschlachtet und beispielsweise zu Charcuterie verarbeitet. Mehr kann am Markt nicht abgesetzt werden. Die restlichen Tiere wurden mit CO2 betäubt, getötet und anschliessend in einer Biogasanlage zu Energie umgewandelt.


Das Motto «schneller, billiger, mehr» hat uns in den Überfluss geführt, wie die Food-Trend-Forscherin Hanni Rützler aus Österreich sagt. Sie ist jedoch auch überzeugt: «Die Essentscheide werden individueller. Moral und Ethik spielen wieder eine grössere Rolle als vor zehn Jahren.» Tatsächlich ist in Sachen Huhn einiges in Bewegung: GalloSuisse und Bio Suisse möchten wegkommen vom Töten der männlichen Küken. Dabei werden züchterische und technische Lösungen diskutiert. Im Fokus stehen die Bruderhahnmast und das Zweinutzungshuhn, wo beide Geschlechter grossgezogen werden. Das hätte den Nachteil von etwas kleineren und weniger Eiern sowie geringerem Fleischansatz als bei den hybriden Linien. Eine andere Lösung könnte die Geschlechtserkennung im Ei sein: Männliche Bruteier werden bei dieser Methode aussortiert. Die Kapazitäten sind jedoch beschränkt und die Genauigkeit lässt noch zu wünschen übrig. Dazu kommt die ethische Frage, wann ein Hühnerleben beginnt.

Demeter geht einen anderen Weg. Wer Legehennen nach ihren Richtlinien hält, zieht pro Henne einen Bruderhahn auf. Klar ist: Berücksichtigt man Umwelt, Wirtschaft, Tierwohl und Ethik, gibt es derzeit keine einfache Lösung.


gefragt: Laura Koch






«Die Zubereitungsart ist essenziell»


Frau Koch, wann ist eine Hühnersuppe besonders zu empfehlen?

Da sie wärmend, nährend und stärkend wirkt, empfehle ich eine Hühnersuppe bei Erschöpfung, Schwächezustand oder anhaltender Müdigkeit. Sie hilft auch bei drohenden Erkältungen, chronischen Entzündungen oder bei Darmproblemen.




Rund um den Globus wird Hühnerbrühe zur Kräftigung empfohlen, z. B. im Wochenbett. Warum ist das so?

Beim Kochvorgang wirkt Wärmeenergie auf die Nahrung ein und wird gespeichert. Lang gekochte Eintöpfe, Suppen und Schmorgerichte erlangen dadurch Wärme, die therapeutisch genutzt werden kann, und zwar substanziell wie seelisch. Die Zubereitungsart ist also essenziell.


Was macht die Hühnersuppe zum Hausmittel?

Es ist nicht ein einzelner Nährstoff, ein Nahrungsmittelbestandteil oder ein Lebensmittel, das die Wirkung ausmacht. Es ist das Zusammenspiel der vielen Nährstoffe in der Suppe. Zuerst einmal ist die Suppe bekömmlich, auch wenn man wenig Appetit hat. Sie liefert Flüssigkeit und Elektrolyte und wirkt so einer möglichen Dehydrierung entgegen. Dazu kommen u. a. Kollagen, Mineralstoffe, Eiweisse, Fette, Phospholipide aus dem Markbein, Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe vom Gemüse. Zwiebeln und Knoblauch wirken zudem antimikrobiell, verdauungsfördernd und entgiftend, während die Gewürze wärmende und durchblutungsfördernde Wirkungen haben.

Laura Koch, Autorin von «Essen, geniessen, gesund bleiben», ist Ernährungsberaterin bei Unikum Nutrition (www.unnu.ch) am NHK Health Hub des Instituts für integrative Naturheilkunde in Zürich.


«Je länger die Suppe gekocht wird, desto mehr Qi enthält sie.»

Bruderhähne zwischen Masthühnern

Valérie Cavin und Roman Clavadetscher suchen ihren Weg in dieser komplexen Problematik. Sie bewirtschaften einen Biohof in Malans (GR). Drei Hühnerställe mit je 500 Hühnern stehen auf dem offenen Grasland. Es ist eine extensive Mastrasse, die 77 bis 91 Tage auf dem Hof lebt. Zwischen den grossen, braun gefiederten Hühnern, die sich frei im Stall und im Aussenbereich bewegen können, leben auffallend kleinere, weisse Hühner. Es sind Bruderhähne einer Legehennenrasse, die getötet worden wären. Hier aber werden sie gleichbehandelt wie die Masthühner, auch wenn die Futtereffizient schlechter ist. Dem stimmt Roman Clavadetscher zwar zu: «Masthühner verwerten das Futter schneller und effizienter. Doch das ist nur ein Aspekt», sagt er. «Für mich ist es auch eine ethische Frage. Die Bruderhähne sind für uns im Moment die beste Lösung.» Denn dank dem Projekt «Henne und Huhn» lohnen diese sich für die Bauern auch wirtschaftlich. Sie können die Eier vier Rappen teurer verkaufen; durch den Mehrerlös werden die Bruderhähne quersubventioniert. Aus dem Fleisch der Bruderhähne und den vielen Suppenhühnern, die das Ehepaar von Bio- und Demeterbetrieben dazukaufen, haben sie einige Produkte entwickelt. So gibt es bei ihnen neben ganzen Suppenhühnern ausgelöste Schenkel, Hackfleisch, Hacktätschli, Spiessli, Bratwürste oder geräucherte Pouletbrüste zu kaufen. Mit diesen Convenienceprodukten kommen sie den Wünschen von Kunden entgegen, die schnell, unkompliziert und gut kochen möchten.


Gut? Das Fleisch von ausgestallten Legehennen hat hierzulande nicht den besten Ruf. Clavadetscher ist anderer Meinung: «Ich finde, das Fleisch hat ein sehr gutes Aroma. Die Konsistenz ist zwar etwas anders als bei den reinen Mastrassen. Mit der richtigen Verarbeitung kann man daraus aber viele gute Produkte herstellen.»

Apérohäppchen und Pulled Chicken

Die einfachste Lösung gegen die Produktion von Biogas aus ausgestallten Legehennen ist das Essen von Suppenhühnern und Hennenfleischprodukten. Edith Nüssli von GalloSuisse rechnet vor: «Essen alle 2,5 Millionen Mehrpersonenhaushalte in der Schweiz pro Jahr ein Suppenhuhn, landen alle Hennen nach der Legephase auf dem Teller.» Das Problem: Ein schmackhaftes Suppenhuhn ist einfach zu kochen – es zu kaufen schon schwieriger. Am ehesten findet man sie in Hofläden bei Eierproduzenten. Nachfragen lohnt sich auch beim Metzger, in grösseren Lebensmittelgeschäften, allenfalls in Asialäden oder auch bei Onlineshops.


Wer sich die Mühe nimmt, hat nach vier Stunden Kochzeit zwei wertvolle Grundlagen für feine Gerichte: Vorab die in ihrem Aroma kräftige Hühnersuppe. Keine gekaufte Bouillon, kein Hühnerfond kann geschmacklich mit einer selbstgemachten Brühe mithalten. Dazu galt und gilt sie auch heute als wärmend, kräftigend und hilft bei aufkommender Grippe und Schwächezuständen, wie Ernährungsberaterin Laura Koch im Interview erklärt. In China ist die Hühnersuppe ein altbewährtes Rezept; sie wird der Frau als erste Mahlzeit nach der Geburt gereicht. Denn durch das lange Kochen wird der Suppe das Qi (die Lebensenergie) zugeführt. Je länger die Suppe gekocht wird, desto mehr Qi enthält sie. Gemäss chinesischer Tradition wird das Suppenhuhn mit dem Geburtsbeginn aufgesetzt und so lange auf kleinem Feuer gekocht, bis geboren wurde. Auch während der Stillzeit bietet die Hühnersuppe eine gute Unterstützung für die stillende Mutter.


Für die rund 300 bis 400 Gramm Fleisch, das ein Suppenhuhn liefert, gibt es unzählige Verwendungsmöglichkeiten. So eignet sich das abgelöste Fleisch als Suppeneinlage, für einen Geflügelsalat, als Pastetlifüllung oder für ein Riz Casimir. Wird das gekochte Fleisch auseinandergezupft, entsteht «Pulled Chicken» (ein Beispiel, dass das «Wording» auch beim Essen wichtig ist). Das Fleisch kann so mit Kräutern und Knoblauch in ein Einmachglas geschichtet und mit Olivenöl aufgegossen werden. Gekühlt ist das «Tonno di Gallina» rund drei Monate haltbar. Auf getoastetem Brot wird es zu einem gluschtigen Apérohäppchen. Wird es zwischen zwei getoastete Briochebrötchenhälften geklemmt und mit Zutaten eines Hamburgers ergänzt, greifen auch Kinder begeistert zu. Wer vermutet hier schon ein Suppenhuhn! Kreativ auf dem Teller präsentiert, widerlegt es den Ruf nach zäh, gummig, wenig appetitlich. So wird aus dem ehemaligen Suppenhuhn wieder ein Festessen.




Suppenhuhn – so geht’s:


Suppengemüse (z. B. 3–4 Rüebli, 1 kleiner Sellerie, Wirz, Lauch, Zwiebel)


Peterli und Thymian


Ingwerscheiben (wenn gewünscht)


Zwiebeln und Knoblauch (je nach Wunsch)


einige Wacholderbeeren


1–2 Lorbeerblätter


5 Pfefferkörner


½ TL Salz


ca. 2–3 Liter Wasser


1 Suppenhuhn


Zubereitung

Suppengemüse gründlich waschen und in grobe Stücke schneiden. Zusammen mit allen Zutaten (ohne Suppenhuhn) in eine grosse Pfanne (ca. 6l) geben. Aufkochen. Suppenhuhn in der Zwischenzeit innen und aussen mit kaltem Wasser waschen, dann beigeben. Das Wasser sollte das Huhn ganz bedecken. 3–4 Std. leicht köcheln lassen. Nicht sieden, sonst wird das Fleisch trocken! Den trüben Schaum regelmässig von der Oberfläche abschöpfen. Das leicht abgekühlte Huhn häuten, das Fleisch auslösen und zusammen mit der Brühe geniessen.


Link

Bezugsquellen von Suppenhühnern: www.gallosuisse.ch/produzenten/produzenten-finden






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