So trainieren Sie Ihren Gedächtnismuskel

Möglichst lange ein gutes Gedächtnis zu haben, das ist wohl für die meisten Menschen ein erstrebenswertes Ziel. Auch wenn das Gehirn kein Muskel ist, lässt es sich gemäss neuropsychologischen Erkenntnissen sehr wohl trainieren. Doch aufgepasst: Im gesunden Mass ist auch das Vergessen gesund.

Erinnern Sie sich noch, wann Sie am 11. August 2018 einen Anruf erhalten haben und was Sie am 19. März 2009 zu Mittag gegessen haben? Vermutlich können Sie diese Erinnerungen nicht mehr abrufen, was von einem gesunden Gedächtnis zeugt. Nur weil wir Dinge vergessen, können wir Gedächtnisinhalte strukturieren und das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen, damit wir den Alltag gut bewältigen können. So speichern wir vor allem jene Erinnerungen, welche für uns in der Gegenwart und Zukunft bedeutsam sein können. Das Erinnerungsvermögen passt sich immer an die Anforderungen der Umwelt an, in der wir uns bewegen. Würden wir alles behalten, würden wir von der Informationsflut überwältigt werden. Wie lange wir uns an erlebte Ereignisse erinnern können, ist unterschiedlich. Persönlich bedeutsame Ereignisse, die wir intensiv erlebt haben und über die wir uns oft mit anderen Menschen austauschen, bleiben meist länger in Erinnerung. Dabei verändert sich die Erinnerung über die Zeit. Immer, wenn wir Gedächtnisinhalte abrufen, füllen wir Lücken in unserer Erinnerung wieder auf, indem wir Zusammenhänge generieren und das Erlebte neu interpretieren. So wird z. B. eine Urlaubserinnerung mit der Zeit oft immer schöner, je länger sie zurückliegt und je häufiger wir sie erzählt haben.

Menschen mit einem gesunden Gedächtnis sind in der Lage zu lernen, indem sie Informationen aufnehmen, behalten, ordnen und abrufen können. Dennoch klagen viele gesunde Menschen über Probleme wie das Verlegen von Gegenständen, das Vergessen von wichtigen Unterlagen oder das Verpassen von Terminen usw. In einem gewissen Mass ist Vergesslichkeit normal. So müssen Kinder oft viele Dinge auf einmal neu lernen, im Berufsleben sind häufig viele Aufgaben praktisch gleichzeitig zu erledigen und nicht zuletzt geht der gesunde Alterungsprozess mit Veränderungen der Lern- und Gedächtnisleistung einher. So wird beispielsweise im Alter die Weitergabe von Signalen zwischen den Nervenzellen verlangsamt und die Hirnmasse wird kleiner. Dennoch – auch wenn die Gedächtnisleistung mit der Zeit nachlässt, ist das Gedächtnis ein Leben lang formbar.


Trainieren Sie Ihr Hirn regelmässig

Unser Gehirn ist plastisch, das bedeutet, dass die Verbindungen zwischen den Nervenzellen je nach Nutzung der damit verbundenen Funktionen gestärkt oder geschwächt werden. Diese sogenannte Neuroplastizität ist die Grundvoraussetzung für jede Form des Lernens und bleibt ein ganzes Leben lang erhalten. Durch ein regelmässiges Training der Gedächtnisfunktionen können somit Veränderungen im Gehirn erreicht werden, welche helfen können, Gedächtnisleistungen länger zu erhalten oder gar zu verbessern.


Wie aber sollte nun so ein Gedächtnistraining aussehen? Grundsätzlich ist es wichtig, das Gedächtnis herauszufordern. Wenn man schon seit Jahren Sudokus oder Kreuzworträtsel löst und diese Übungen zur Routine geworden sind, bei denen man nicht mehr viel nachdenken muss, bringt dies nicht mehr so viel. Ideal ist es, immer wieder Neues zu lernen und zu entdecken. So kann man z. B. eine neue Sprache oder ein neues Musikinstrument lernen, neue herausfordernde Spiele entdecken usw. Das selbst gesteckte Ziel dabei sollte realistisch sein, besser ist es, sich kleine regelmässige Übungsphasen vorzunehmen und auch kleine Erfolgserlebnisse zu würdigen.

Zudem gibt es nebst der «Üben-üben-üben»-Strategie, welche viel Durchhaltewillen benötigt, auch das Training von Merk- und Gedächtnisstrategien. Hierzu gibt es eine Fülle von Strategien, die ein wenig Übung benötigen, mithilfe derer man jedoch z. B. Namen, Einkaufslisten usw. leichter merken kann. Dabei machen wir uns zunutze, dass das Gehirn am liebsten in Mustern lernt. Verbinden wir die Dinge, die wir uns merken müssen, zu einer Art Muster, z. B. indem wir Verbindungen schaffen durch das Bilden von Kategorien, das Einbetten in Geschichten oder in eine Vorstellung usw., können wir unsere Gedächtnisleistung gezielt verbessern. Die Anwendung von Merk- und Gedächtnisstrategien eignet sich somit auch als Kompensationsmöglichkeit oder als kognitive Reserve, wenn die Merkfähigkeit nachlässt. Die kognitive Reserve besteht aus verschiedenen weiteren Faktoren wie dem Umfang der Schul-, Berufs- und Fortbildung, der Regelmässigkeit von kognitiven Aktivitäten (z. B. durch Lesen, Musizieren, künstlerische und kreative Beschäftigungen) sowie der Vielfalt von Interessen und der Mehrsprachigkeit. Diese Faktoren unterstützen Gedächtnis, Sprache und Aufmerksamkeit nachweislich und wirken präventiv. Noch verstärkt wird der Effekt, wenn beim Lernen verschiedene Sinne angesprochen werden und das Training Spass macht!

Nebst dem kognitiven Training, das hier angesprochen wurde, gibt es auch weitere gesundheitsfördernde und präventive Massnahmen, die die Gesunderhaltung des Gedächtnisses unterstützen. So zeigen verschiedenste Studienresultate, dass eine gesunde und nährstoffreiche Ernährung, regelmässige Bewegung, ausreichend Schlaf, Verzicht aufs Rauchen, Stressbewältigung und soziale Aktivitäten das Gedächtnis nachweislich schützen. Dabei lassen sich schon im frühen und mittleren Lebensalter entscheidende Weichen für die geistige Leistungsfähigkeit im Alter stellen.


Sport trainiert auch das Gehirn

Ein regelmässiges körperliches Ausdauertraining (wie z. B. Radfahren, Laufen, Schwimmen) fördert nebst der körperlichen Fitness auch die Gedächtnisfunktionen. Dabei ist es wichtig, regelmässig in mittlerer und hoher Intensität zu trainieren. Mittlere Intensität bedeutet, dass man sich z. B. beim Joggen noch unterhalten kann. Aus verschiedenen Forschungsarbeiten wurden Empfehlungen abgeleitet wie das Trainieren von 150 Minuten pro Woche in mittlerer oder 75 Minuten in hoher Intensität, wobei eine Sporteinheit mindestens 10 Minuten, im Idealfall mindestens 30 Minuten betragen sollte. Ebenfalls ist ein zweimal wöchentliches Muskelkräftigungstraining sinnvoll. Berufstätige, die bei ihrer Tätigkeit viel sitzen, sollten zwischendurch Bewegungseinheiten durchführen. Auch wer erst im Alter mit regelmässiger körperlicher Ausdauerbelastung beginnt, kann noch zur Gesunderhaltung seines Gedächtnisses beitragen. Um die positiven Effekte zu intensivieren, helfen Koordinationsübungen (z. B. Bewegungsspiele, Tanzen, Jonglieren usw.) oder das Lösen von Aufgaben während des Trainings, wie z. B. Ratespiele, Merkaufgaben, Gleichgewichtsübungen usw. Zu empfehlen ist auch, neue Sportarten zu lernen oder bestimmte Bewegungsfolgen ab und zu auf neue Art auszuführen (z. B. mit der ungewohnten Hand und auf einem Bein stehend die Zähne putzen usw.)


Auch eine ausgewogene und vielseitige Ernährung ist wichtig. Unser Gehirn besteht vor allem aus Wasser, Eiweiss und Fett. Daher benötigt es Baustoffe wie ungesättigte Fettsäuren und Eiweiss, zudem Mineralien und Vitamine, um die Hirnfunktionen aufrecht zu erhalten. Zucker kann der Körper zur Not selbst herstellen, sofern die Eiweissversorgung stimmt. Zusätzliches «Brainfood» nebst einer ausgewogenen Ernährung bringt keine Verbesserung der Denkleistung. Bei abwechslungsreicher Ernährung erhält das Gehirn sowieso die besten Nährstoffe nach Bedarf, bevor die anderen Organe versorgt werden. Somit ist es bei einer ausgewogenen Ernährung praktisch unmöglich, sich nicht gehirngerecht zu ernähren.


Gesundes Sozialleben gehört zur ­geistigen Fitness

Ein gesundes Leben benötigt ausserdem ein gesundes Sozialleben. Bei der Interaktion mit anderen Menschen werden wichtige Bereiche des Gehirns stimuliert. Bei Menschen mit kleinen sozialen Netzwerken, wenigen persönlichen Kontakten und geringem sozialem Engagement entwickelt sich der kognitive Abbau im Alter schneller. Ein aktives Leben und der Austausch in Familie und Freundeskreis, in Vereinen und Gemeinschaften usw. trainieren nicht nur das Gedächtnis, sondern senken häufig auch das Stressniveau, damit das Gehirn effektiver arbeiten kann.


Während die Pflege sozialer Kontakte der wichtigste Schutzfaktor darstellt, um unser Gedächtnis gesund zu erhalten, gibt es zusätzliche Faktoren eines gesunden Lebensstils, die sich positiv auf unsere Merkfähigkeit auswirken können. So kann regelmässige Meditation helfen, Stress zu reduzieren und den Blutdruck zu senken. Genügend Schlaf und Pausen zwischen Lernphasen werden benötigt, um Gedächtnisinhalte abzuspeichern und zu integrieren. Chronischer Stress ist zu vermeiden. Daher ist es sinnvoll, sich Strategien anzueignen, um mit Stress umgehen zu können. Mit positiver Stimmung lernt es sich besser, wir sind motivierter, kreativer und ausdauernder. Eine wichtige Komponente für die Gesunderhaltung des Gedächtnisses ist schliesslich die eigene Selbstwirksamkeit. Wenn ich mir zutraue, herausfordernde Situationen zu meistern und Ziele setze, die ich erreichen kann, hat dies einen grossen Einfluss auf meine Lebensgestaltung.

Somit lässt sich folgendes Rezept ableiten: Wir halten unser Gedächtnis gesund, wenn wir es auf vielfältige und neue Art herausfordern und stimulieren, mit allen Sinnen, in sozialer Interaktion und mit regelmässigen Wiederholungen Neues lernen, einen gesunden Lebensstil pflegen, uns dabei selbstwirksam zu erleben und Freude daran haben!





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