Wie man am Arbeitsplatz Mitmenschen bändigt, für die Kollegialität ein Fremdwort, aggressiv-anmassendes Auftreten die Norm und Mobbing eine Strategie darstellen.
Im beruflichen Alltag nimmt rücksichtslos-unkollegiales Verhalten zu. Was treibt diese ungute Entwicklung voran? Den einen einzigen Grund dafür gibt es nicht. Das wird im Gespräch mit Psychologen wie erfahrenen Unternehmensberatern rasch klar. Sicher scheint, dass zeitgeistige Erziehungsvorstellungen, die im Licht neuerer Erkenntnisse zu mehr oder weniger ausgeprägtem sozialem Fehlverhalten und auch sonstigen Verhaltensdefiziten führen, dem ebenso Vorschub leisten wie gesamtgesellschaftliche Strömungen, die übersteigerten Individualismus unkritisch beklatschen.
Beides spielt dem Geschehen in der Wirtschaft in die Hände, das ebenfalls nicht unwesentlich an dieser zwischenmenschlichen Klimaverschlechterung beteiligt ist. Hier ist es vor allem der sich aus dem Wettbewerbsdruck ergebende Kostendruck, der die Entwicklung begünstigt. Die aus heutigem Verständnis am schnellsten zu verringernden Kosten sind die Personalkosten. Das hat zur Folge, dass Personal als disponible Masse angesehen wird. Stimmen die Ergebnisse nicht oder entsprechen sie nicht dem gewünschten «Noch mehr», wird hier schnell der Rotstift angesetzt. Die Konsequenz daraus: Zum Leistungsdruck gesellt sich der zwischenmenschliche Wettbewerbsdruck. Das fördert egoistisch-rücksichtslos-unkollegiales Verhalten nicht nur, es fordert es als persönliche Überlebenshilfe geradezu.
Und stellt die Mehrzahl der Mitarbeiter vor ein gravierendes Problem: Wer selber mannschaftsdienlich spielt, tut sich schwer im Umgang mit ungebremster Ichbezogenheit und Rücksichtslosigkeit. Endstation Resignation? «Bloss nicht», sagt der Wiener Psychotherapeut und Humorforscher Alfred Kirchmayr. «Empfindet man sich als ohnmächtig, ist man verloren.» Diese Geiselmentalität sei geradezu tödlich im Umgang mit jedweden Problemen. Eine Stresssituation werde umso traumatischer, je weniger das Gefühl da sei, sie unter Kontrolle zu haben oder unter Kontrolle bringen zu können.
Sein Rat: Erlebte Unkollegialität sollte dazu herausfordern, kreative Gegenstrategien zu entwickeln. Erfahrungen aus dem Konfliktmanagement zeigten: Resignation verstärke das Elend nur und unfaire Taktiken liessen sich mit Witz und Humor entschärfen. Kirchmayr nennt ein Beispiel: Sagt der eine Kollege zum körperlich kleineren anderen von oben herab: «So ´ne Kleinigkeit wie Sie stecke ich doch in meine Hosentasche!» Erwidert dieser: «Kann schon sein, aber dann haben Sie in Ihrer Hosentasche mehr Hirn als im Kopf!»
Diese blitzschnelle Replik wirkt entwaffnend und offenbart die heilsame Distanz zum Gemeinen, die sich durch beherzte, humorvolle Geistesgegenwart gewinnen lässt. Die Erfahrung lehre, so Kirchmayr, dass dies ein klar verstandenes Stoppzeichen «Hallo, mit mir nicht!» sei, das nicht ohne abschreckende Wirkung bleibe. So liessen sich schwierige zwischenmenschliche Situationen meist gut in den Griff bekommen, ohne sofort auf Konfrontationskurs zu gehen und damit die Gefahr der Eskalation heraufzubeschwören. Schon Goethe wusste: «Die beste Rettung: Gegenwart des Geistes!»
Doch wie wird diese Geistesgegenwärtigkeit erworben, die dafür sorgt, dass es nicht zu der gefährlichen situativen Befangenheit und Sprachlosigkeit kommt? Wie wird das Ziel der Übung erreicht, sich einerseits nicht ins Bockshorn jagen zu lassen oder sich verletzt in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, aber andererseits auch nicht überzureagieren und sich von aufwallenden Emotionen unbedacht fortreissen zu lassen?
«Vor allem durch die Stärkung des Selbstvertrauens», sagt der Entwicklungspsychologe Jürg Frick von der Pädagogischen Hochschule Zürich und seit vielen Jahren in der psychologischen Beratung aktiv. «Selbstvertrauen», erläutert er, «ist die positive Einstellung zu persönlichen Merkmalen, eigenen Fähigkeiten und Leistungen, kurz, das Fundament für das sichere Gefühl, dem Leben gewachsen zu sein, die positive Grundeinstellung zu sich selbst als Person mit ihren Stärken und Schwächen.» Mehr Selbstvertrauen ziehe beinahe automatisch auch ein gelassen-geistesgegenwärtigeres Verhalten nach sich.
Was kann ich? Was leiste ich? Welche Herausforderungen habe ich in meinem Leben schon bewältigt? Welche Probleme und Schwierigkeiten schon erfolgreich angepackt? Mit diesen selbststärkenden Überlegungen beispielsweise lasse sich das Selbstvertrauen auf ein immer solideres Fundament stellen. «So wird es zunehmend leichter», weiss Frick, «die nötige Energie aufzubringen, Hindernisse im Lebensweg, Probleme und Misserfolge beherzt anzupacken, sich mit neuen Gegebenheiten und Situationen auseinanderzusetzen und Unklarheiten aus- und durchzuhalten.»
Auf eine weitere bewährte Möglichkeit, Selbstvertrauen und situative Geistesgegenwart zu stärken, verweist der Sportpsychologe Hans Eberspächer von der Universität Heidelberg: Sich bestimmte wiederkehrende unangenehme zwischenmenschliche Situationen vorzustellen, mögliche eigene Reaktionen darauf zu entwickeln, die im Kopf durchzuspielen, bis sie verinnerlicht seien und dann, wenn Kollege Widerling wieder einmal den Aufstand probe, sich ein Herz zu fassen und genau nach diesem Drehbuch zu handeln. «Das ist mentales Training. Im Leistungssport heute eine Selbstverständlichkeit. Es sorgt dafür, da und gut zu sein, wenn es darauf ankommt», sagt Eberspächer.
Wie ein Airbag schütze das Gespann Selbstvertrauen und geistesgegenwärtige Gelassenheit vor emotionalen Verletzungen, die einen Menschen vollkommen blockieren könnten, erklärt der Aarauer Fachmann für Stress- und Ressourcenmanagement und Psychotherapeut Urs Peter Lattmann. Auf dieser Grundlage sei die für spontane situative Souveränität notwendige Kaltblütigkeit, der berühmte kühle Kopf, kein Problem mehr. So wüchsen Mut und Fähigkeiten, Verhaltensfouls wie dumme Anmache oder Anmassungen abzuwehren, Psychotricks zu durchschauen und zu neutralisieren und unsachliche Attacken oder Vorwürfe, beliebtes Spiel in Besprechungen, ruhig und bestimmt mit konkreten Gegenfragen zu kontern.
Wer sich einschüchtern lasse, lade zu weiteren Angriffen und sich steigernden Unverschämtheiten geradezu ein. «In der Aufgeregtheit verlieren wir meistens nicht nur den Blick für die tatsächlichen Zusammenhänge, wir achten auch nicht mehr auf uns selbst», ergänzt der Mainzer Philosoph Rudi Ott. Beides sei in heiklen Situationen eine gefährliche Blösse. Permanente Aufgeregtheit, warnt Ott, lasse eine hohe Reizbarkeit der Gefühle entstehen: «Ich stehe unter Dauerstrom; Bitterkeit, Beleidigtsein, Verdrossenheit, mieses Dreinblicken, aggressive Regungen sieht man mir regelrecht an. Die Reizschwelle sinkt.» Das sei keine günstige Geisteshaltung für souveränes Agieren und Reagieren.
«Als Verletzter, Erschöpfter, Entmutigter und obendrein noch Aufgeregter bin ich Opfer und Objekt von Menschen und Umständen», nimmt Kirchmayr den Gedanken auf. Geistesgegenwärtige Kreativität und Humor hingegen schafften spielerische Distanz zu eingefahrenen Wahrnehmungen, Bewertungen und Verhaltensmustern. Dadurch werde es möglich, Probleme ungewöhnlich wahrzunehmen und ungewöhnlich, andere verblüffend, zu reagieren, sagt er. «So schafft man sich die Lufthoheit über eine Situation und zeigt, so schnell drückt mich keiner an die Wand.»
Hilfreich für den gekonnten Umgang mit unliebsamen Kollegen sind schliesslich auch die Erkenntnisse der Kriminalitätsforschung. Bekannt ist, dass ganz bestimmte Menschentypen besonders häufig zu Verbrechensopfern werden. Vergleichbares zeigt sich auch im Arbeitsalltag. Nicht jedem Kollegen gegenüber benehmen sich notorische Widerlinge gleich widerlich. Doch was signalisiert ihnen: Mit dem kannst du es machen, mit dem aber nicht? «Die Körperhaltung und -spannung», löst die Körpertrainerin Benita Cantieni, die sich in Zürich mit diesen Fragen intensiv beschäftigt und entsprechende Trainingsprogramme entwickelt, dieses Rätsel.
Wer verletzt und erschöpft ist, werde leichter Opfer von Widerlingen, weil ihm die Widerstandskräfte fehlten, sagt Cantieni. Dieser Zustand drücke sich deutlich in der Körperhaltung und -spannung und damit in der Ausstrahlung eines Menschen aus. Menschen, die zu wenig auf ihr körperliches und geistig-seelisches Wohl achteten, die zur Selbstausbeutung neigten oder die sich zu sehr den Wünschen anderer anpassten und zu passivdepressivem Verhalten neigten, seien in kollegialen Rangeleien besonders gefährdet.
Unkollegiales Verhalten kann man also auch durch sein eigenes Verhalten geradezu herausfordern. Ebenso wie man es dadurch schon im Keim ersticken kann. Wer sich also am Arbeitsplatz nicht zur Marionette von Kollege Widerling machen lassen will, muss sich seiner Fähigkeiten und seines Wertes bewusst werden. Ein wichtiges übergreifendes persönliches Verhaltensziel sollte es für Cantieni deshalb sein, den immer mehr wegbrechenden gewohnten Verhaltensnormen und -formen durch die Pflege geistiger wie körperlicher Stabilität die Gefährlichkeit zu nehmen. «Wer sich wohlfühlt und in sich ruht, ist nicht vor Unkollegialität bis hin zu aktivem Mobbing in der Verfolgung egoistischer Ziele geschützt», sagt sie, könne damit aber selbstschützend umgehen.
Literatur zum Thema
Barbara Berkhan: «Judo mit Worten – Wie Sie gelassen Kontra geben», Kösel Verlag, München 2008, Fr. 31.30
Albert Thiele: «Argumentieren unter Stress – Wie man unfaire Angriffe erfolgreich abwehrt», Deutscher Taschenbuch Verlag 2007, Fr. 17.40
Bärbel Wardetzki: «Ohrfeige für die Seele – Wie wir mit Kränkungen und Zurückweisungen besser umgehen können», Deutscher Taschenbuch Verlag 2007, Fr. 13.95
Annette Pehnt: «Mobbing», Piper 2007, Fr. 29.90
Marie-France Hirigoyen: «Die Masken der Niedertracht – Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann» Deutscher Taschenbuch Verlag 2006, Fr. 17.40
Storch, Cantieni, Hüther, Tschacher: «Embodiment – Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen», Verlag Hans Huber 2006, Fr. 43.50
Titze, Partsch: «Die Humorstrategie – Auf verblüffende Art Konflikte lösen», Kösel Verlag, München 2004, Fr. 28.90
Internetlinks
www.mobbing-beratungsstelle.ch/
www.mobbing-info.ch
www.flexibles.ch/meb/vf_proj_mob.htm
www.humankonzept.ch/coaching-beratung/mobbingberatung
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